Mannus, 28, 279–281 (1936)
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Otto Sigfrid Reuter ist den Mitgliedern des Reichsbundes für Deutsche Vorgeschichte kein Unbekannter. Seit 1922 gehört er der Kossinna-Gesellschaft an und hat wiederholt wegweisende Arbeiten im „Mannus“ veröffentlicht. Aus seinem Leben seien einige der wichtigsten Tatsachen mitgeteilt. O. S. Reuter wurde am 2. September 1876 zu Leer in Ostfriesland als Sohn des Kapitäns und Navigationslehrers W. Reuter und dessen Gattin Emma Armknecht, Tochter des Pastors Fr. Armknecht, geboren. Es genügt bei Kindern von Beamten auch schon 1876 nicht, nur den Geburtsort zu wissen, der ja sehr oft nur die Folge von gewissen Zufälligkeiten ist; notwendiger erscheint es, festzustellen, in welchem Lebensraum sich das Dasein der Vorfahren väterlicher- und mütterlicherseits abspielte. Wenn man den jetzigen Aufenthaltsort Reuters, nämlich Huchting bei Bremen, mit in {280} Erwägung zieht, dann liegt die Vermutung nahe, Reuters Vorfahren gehörten dem niedersächsischen Stamme an; und man geht mit dieser Annahme nicht fehl. Die väterlichen Vorfahren stammen aus der Hildesheimer Gegend; eine Zweigsippe wanderte vor einem Jahrhundert nach Ostfriesland ab. Der Urgroßvater Reuters, Wilhelm Reuter, war Hofmaler der Königin Luise von Preußen; der Großvater war Gymnasialrektor in Aurich (vgl. auch Ztschr. Mannus XVIII, 1926, S. 374). Die Vorfahren mütterlicherseits stammen aus der Gegend von Hannover.
Nach Besuch der humanistichen Gymnasien zu Altona und Leipzig legte Reuter 1894 die Reifeprüfung ab und beschritt die höhere Post- und Telegraphenlaufbahn. Zuletzt war er Telegraphendirektor in Bremen, wo er sich 1924 zur Ruhe setzte, allerdings nicht zu einer müßigen Ruhe mit langer Pfeife und Skatspiel. Schon 1902 hatte er sich in das Studium der eddischen Lieder und der sog. jüngeren Edda vertieft; das war damals ein etwas abseits liegendes Gebiet. Aber dieser Wissenszweig und alles, was mit {281} ihm zusammenhängt, ließ Reuter in der Folgezeit nicht mehr los. Es war kein sich selbst genügendes Versenken, sondern ein Suchen nach neuen Forschungswegen und neuen Erkenntnissen, die ihm sein rastlos schaffender Geist in ungeahnter Fülle erschloß. Hand und Fuß bekamen diese Ergebnisse, als Reuter sich unserm Altmeister Kossinna anschloß, dessen Schüler er wurde, dem er später ein Freund war. Die erste Frucht seiner Arbeit waren die beiden Bände „Das Rätsel der Edda und der arische Urglaube“1), in der er bis zu den Wurzeln unseres Geisteslebens hinabsteigt. Kossinna rühmte aus Anlaß des 50. Geburtstages Reuters „die mächtige Wirkung, die von diesem Buche ausgegangen sei“. Wer sich in „das Rätsel der Edda“ vertieft, wundert sich immer wieder über die Großzügigkeit und die tiefen Zusammenhänge, die Reuter herausarbeitet.
Von den zahlreichen kleineren Veröffentlichungen Reuters in den folgenden Jahren seien besonders zwei angeführt: a) „Astronomie und Mythologie. Zur Methodik.“ Mannus XVIII (1926), S. 33f. Das ist eine grundlegende Arbeit zur Methodik dieses Forschungszweiges, die niemand übergehen darf, der sich damit beschäftigt. b) „Oddi Helgason und die Bestimmung der Sonnenwenden im alten Island.“ Mit dieser Arbeit, die der Erforschung des Bauern und Himmelskundlers Oddi Helgason diente, stattete Reuter in würdiger Form seinen Dank gegen Kossinna ab. Die Arbeit erschien in der Festgabe für den 70jährigen Kossinna 1928. Aus diesen und ähnlichen Veröffentlichungen ging immer deutlicher hervor, wohin Reuters Weg führte, nämlich zur Erforschung der germanischen Himmelskunde. 9 Jahre seines Lebens setzte er an diese Arbeit; er opferte Zeit, Kraft und Geld, um hier Klarheit zu schaffen und zu Ergebnissen zu kommen, die auf diesem Gebiete ungleich schwerer zu gewinnen waren als auf vielen anderen. Die Quellen waren so dürftig, so verschüttet und so entlegen, wie sie nur sein konnten. Wer das Gebiet auch nur oberflächlich kennt, wird zugeben, daß diese Behauptung nicht übertrieben ist; und wer es trotzdem nicht glauben will, dem sei einmal die aufmerksame Durchsicht der Quellen und Belege und der über 600 Bücher enthaltende Schriftennachweis auf den Seiten 744–766 der „Germanischen Himmelskunde“ Reuters empfohlen.
Wir Deutsche haben allen Grund, uns über die „Germanische Himmelskunde“ Reuters, die 1934 erschien, zu freuen; sie hat sich inzwischen auch schon bei unseren nordischen und angelsächsischen Vettern durchgesetzt. Das Buch ist im besten Sinne bahnbrechend, hilft es doch an der Seite der anderen Zweige der deutschen Vorgeschichte dem Gedanken zum Durchbruch, daß unsere germanischen Vorfahren nicht nur hochstehende, geistig aufgeschlossene, sondern auch wissenschaftlich hochbefähigte Menschen waren. Wer der Aufdeckung dieses Tatbestandes, wie Reuter, seine Lebensarbeit widmet, verdient es wahrlich, an seinem 60. Geburtstage geehrt zu werden. Daß Reuter, solange seine Kräfte reichen, diese Lebensarbeit nicht zu seiner Ehre, sondern zum Ruhme unseres Volkes und Vaterlandes fortsetzen wird, wissen wir. Daß es noch lange geschehen möge, hoffen und wünschen wir!
J. Hogrebe.
1) Bad Berka 1922 u. 1923.