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Der Himmel über den Germanen

Die allgemeine Vorgeschichtswissenschaft strebt zu den Gründen, aus denen jenes Stammvolk unserer neuen Bildung lebte, bevor die Zeit und fremde Kulturen ihre Schleier über seine Ursprünge warfen. In die großen Zusammenhänge, die wir mit Blut und Boden bezeichnen, gehörte aber von jeher auch der Himmel über uns, und den Forschungsmitteln allgemeinen Vorgeschichtswissenschaft gesellt sich mit Recht auch die Himmelskunde, weil der Weg über „Sonne, Mond und Sterne“ keinen Umweg bedeutet, wenn er zu uns selbst führt.

Dieser Weg, alles Beweises bar, schien gesperrt. Im Gefolge des westeuropäischen Kulturumbruchs, der auch die germanischen Sternbilder mit dem Glanze ihrer alten Götternamen vom Himmelsgewölbe hinwegfegte, um eine verworrene Masse griechischer, römischer und arabischer Bilder und Namen an ihre Stelle zu setzen, gerät allzuleicht noch der heutige Kritiker in die geschichtlich gewordenen Strömungen und erliegt, wissend oder unwissend, schließlich aus Erziehung und Neigung, der bequemeren Tendenz. Es ist zweifellos schwieriger, sich gegen den Strom zu wenden und eine frühgermanische Stern- und Himmelskunde auf dem Wege des Beweises zu behaupten, als dieselben frühgermanischen Stämme für ein barbarisches Naturvolk zu erklären, das aus eigenem nichts, alles aber durch Entlehnung aus der Fremde erworben habe.

Man hält das Schweigen der Quellen für einen genügenden Beweis für den behaupteten Mangel eigenständiger germanischer Himmelsbeobachtung und selbst der Hinweis auf die geschichtliche Verdrängung der vorkirchlichen Gesittung durch die Waffen der Karolinger wird als unbegründet bezeichnet. Und doch war es schon Jacob Grimm ausgefallen, daß aus dem germanischen Gebiete keine Namen für die auffälligen Hellen Wandelsterne erhalten sein sollten. „Es ist kaum denkbar,“ sagte er (Myth. 3686), „daß die Heiden, wenn sie einzelne Fixsterne durch eigentümliche Benennungen hervorhoben, nicht auch die Wandelsterne, deren Erscheinung und Wechsel weit mehr ins Auge fiel, hätten unterscheiden und benennen sollen.“ Wenn wir nun eine zudem erheblich größere Anzahl germanischer Sternbilder nachweisen, die ihren Namen aus dem großen Zuge der germanischen Göttersage tragen, so ist deutlich, daß eine so eindrucksvolle heidnische Glaubenslehre am Himmel von der mittelalterlichen Kirche, mitten in ihren Kämpfen, nicht geduldet werden konnte. Die Sternbeobachtungen des Oddi Helgason, der nach ihnen den Ehrennamen des Stern-Oddi im Volke trug, dessen uns durch ein gütiges Geschick erhaltene Zahlenreihen die Bewegung der Sonne und der Dämmerungsbogen betreffen, sind verloren; und doch sind sie gewiß ebenso klare {491} Zeugnisse einer volkstümlichen Himmelsbeobachtung gewesen wie jene uns heute noch nachprüfbaren Zahlenreihen. Daß aber die Quellen der germanischen Himmelskunde heute zum großen Teile nur im nordgermanischen Gebiete fließen, beruht darauf, daß in diesem nordischen Raum die Zerstörung fast ein halbes Jahrtausend später eingesetzt hat als in Deutschland. Die Zerstörung selbst ist erwiesen.

Demgegenüber meinte noch Alexander Tille [1] (und solche Zeugnisse sind lehrreich genug): „Die Beobachtung von Hitze im Sommer und die von Kalte im Winter ist ein Ding; ein anderes ist die Beobachtung der Sonnenstände auf dem Himmelsrande... Die germanischen Stämme wußten so wenig von Sonnwenden und Gleichen, daß sie nicht einmal Namen für sie hatten. Diese Begriffe bekamen sie von den Römern und alle ihre verschiedenen Worte dafür sind Übersetzungen der römischen Bezeichnungen. Es gab niemals eine germanische Sonnwendfeier.“

Ganz und gar in diese kampflustige Tonart stimmte Gustav Bilfinger [2] ein, der sich in solchen Wiederholungen wohl fühlt: „Die Angelsachsen (zu Bedas Zeit) sind sicherlich noch nicht imstande gewesen, die Sonnenwende auf einen bestimmten Tag auszurechnen und hiermit eine Aufgabe zu lösen, welche eine hohe Entwicklung der Mathematik und der astronomischen Beobachtung voraussetzt.“ Es ist nur folgerichtig, wenn es weiterhin bei ihm heißt: „Das gebundene Mondjahr ist eine der kompliziertesten Formen der Zeitrechnung und setzt eine Summe von mathematischen und astronomischen Kenntnissen voraus, die wir wiederum einem Naturvolk nicht leicht Zutrauen werden...“ Aber es ist unbillig, wie Bilfinger es für seine Begründung tut, dem Vater der isländischen Geschichtsschreibung, Ari Thorgilsson (1067–1148),ängstliche Verschleierung“ eines ihm wohlbekannten Tatbestandes vorzuwerfen, um die altnordische Zeitrechnung aus kirchlichen Quellen ableiten und gleichsam mit einem Frohlocken schließen zu können, daß auch „von dem germanischen Julfeste nichts Urgermanisches übrig bleibe als der Name Jul“.

Das ungenügend begründete und irrige Urteil Bilfingers über die altnordische Zeitrechnung war schon von Ginzel, Finnur Jónsson, Martin P. Nilsson, J. Fr. Schroeter u.a. als „überspitzt“ abgelehnt worden; heute ist die germanische Selbständigkeit auch hierin erwiesen. Wie weit aber solche, trotz ihrer gelehrten Umkleidung doch der Widerlegung zugänglichen Irrtümer in der wissenschaftlichen Erörterung umsichgreifen können, wie schwer sie auszurotten sind, geht daraus hervor, daß selbst Franz Boll, der Verfasser der Sphaera, sich noch 1913 auf jenen Alexander Tille und auf „Bilfingers wie immer sehr gründliche und sachkundige Erörterungen“ stützen zu dürfen glaubte, als er betonte, daß sich bei den Germanen „keine wenn auch primitive wissenschaftliche Astronomie entwickelt“ habe. Es ist lehrreich zu sehen, daß ein so gewichtiges Urteil auf einer lückenhaften und einseitigen Heranziehung und Ausnutzung der Quellen beruht, die weniger dem betrachtenden Astronomen als dem kritischen Chronologen vorzuwerfen ist.

{492} Im folgenden wollen wir Vermutung, Wahrscheinlichkeit und Erweis nach bestem Vermögen scheiden. Wer in die Zusammenhänge der germanischen Welt eindringen, wer aus den Quellen, Berichten und Urkunden erkennen will, wie diese Himmelskunde nicht nur der Besitz einzelner, sondern Volksgut war, den verweise ich auf meine „Germanische Himmelskunde“ (Verlag J. F. Lehmann, München). Hier ist zunächst wesentlich, die Selbständigkeit des germanischen Stammes auf einem der wichtigsten Gebiete, in der Beobachtung der himmlischen Gesetzmäßigkeit zu erkennen. Was jedoch in der nachfolgenden Aufzählung leicht als Summe der germanischen Leistung erscheinen könnte, ist in Wirklichkeit nur eine kurze Übersicht über einzelne erkennbare Trümmer. Diese allerdings sind derart, daß wir nicht nur eine Nutzung der himmlischen Erscheinungen, wie etwa in der Zeitrechnung oder in der Hochseeschiffahrt, sondern auch das geduldige Ringen um die zahlenmäßige Erfassung des Naturgesetzes feststellen können.

Angesichts der Ungunst der nordischen Wetterverhältnisse, die die ganze Kraft des Mannes in den Kampf um das Dasein stellten, wird kein Einsichtiger vom Norden eine Entwicklung der Mathematik und der astronomischen Theorie erwarten, wie sie die Welt dem rasseverwandten Hellenenvolke aus glücklicheren Gebieten verdankt. Andererseits finden wir bei keinem der uns bekannten sogenannten Naturvölker die selbständige Entwicklung einer längeren Schaltspanne, wie sie bei den Nordgermanen beweisbar, bei den Südgermanen wahrscheinlich geübt wurde, die weit über das von Bilfinger vermißte „gebundene Mondjahr“ hinausgeht. Auch dem gleichzeitigen abendländischen Mittelalter wie dem alten Rom stellt sich das germanische, zumindest das altnordische, als ein eigenes Kulturgebiet mit einer himmelskundlichen Leistung gegenüber, die in jenen Gebieten und Zeiten zu fehlen scheint. Es ist der gewaltige Ausgriff über den Atlantik, die Entwicklung einer Hochseeschiffahrt über 40 Breiten- und 100 Längengrade hinweg, deren Forderungen der Süden auf engerem Raume nicht kannte.

Die großen Religionsideen der nordischen Edda, die, weit hinüber ins arische Iran reichend, den uralten Mythus des Endkampfes zwischen den Mächten der Schöpfung und der Zerstörung darzustellen scheinen, stehen in neuem Licht, wenn wir im Glanze der Sternbilder die große Gottesweissagung am nächtlichen Himmel selbst geschrieben sehen.

Wir wissen nicht, wie weit sie als gemeingermanisch anzusprechen sind. Der Forschung eröffnet sich ein weites Feld. Dennoch erkennen wir auch hierin: Es ist eine geistige Vorzeit, die sich erhellt, wenn ihre dauernden Beziehungen zum Himmel über uns beweiskräftig ans Licht treten.

Wir beginnen mit dem Gange der Sonne über dem Himmelsrande und der Entstehung und Nutzung der Himmelsrichtungen; dem folgt eine Übersicht volkstümlicher Beobachtungen und Messungen. Die zweite Hälfte bringt die germanische Zeitrechnung nach Sonne und Mond, sowie die Darstellung des gestirnten Himmels.

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I. Himmelsrand und Himmelskreis

Für die germanische wie für jede frühe Himmelsbeobachtung wird der Gesichtskreis die erste Bezugsebene sein. Über dem festen Himmelsrande bewegt sich der Himmel; es ist kein Wunder, daß der beobachtende Mensch die Bewegung auf die nachprüfbare feste Ebene bezieht. Wir werden jedoch sehen, daß die germanischen Völker sehr bald zur Unterscheidung zwischen dem irgendwie gestalteten, mit Hügeln, Wäldern, Meeresflächen besetzen sichtbaren irdischen Gesichtskreis, dem sogenannten Himmelsrand, und dem von ihm ganz unabhängigen, nur gedachten Himmelskreise, dem sogenannten scheinbaren Horizonte, gekommen sind.

1. Sonne und Richtungsbild.

Eine der ersten Nachrichten von germanischer Himmelsbeobachtung und zwar aus sehr alter vorgeschichtlicher Zeit findet sich in den Urkunden der Sprache. Dem Richtungsbilde aller germanischen Völker sind die Bezeichnungen Nord, Ost, d, West gemeinsam; heute sind diese in Weltgeltung übergegangen [3]. Die Urbedeutung dieser vier ersten Richtungsworte beweist, daß dem Richtungsbilde die Beobachtung der Tages- und Nachtbahn der Sonne zugrunde gelegen hat. (Vgl. Abb. 1.)

1. Nord = „hinab, nieder“: für den Nachtlauf der Sonne unterhalb des Himmelsrandes; nord und nieder führt in altnordischer Redeweise der Hel-, d. i. Totenweg.

2. Ost = „aufhellend, brennend“: für die Aufgangsseite. So ist Ostern die Zeit, in der die Sonne die Mitte dieser Aufgangsseite nordwärts zu ihren Sommerstellungen überschreitet.

3. Süd = „die leuchtende“, nach anderer Deutung die „Gang“-Seite, über Welcher die Sonne ihren höchsten Tagesbogen geht und ihr vollstes Licht gibt.

4. West = „die Abendseite“.

Dieses erste germanische Richtungsbild meint nicht schon die sog. wahren Himmelsrichtungen N, O, S, W, vielmehr zunächst nur die vier Hauptgegenden der Sonne.

Die Einheitlichkeit dieses Richtungsbildes fällt um so mehr auf, als eine solche z. B. dem griechischen und römischen Richtungsbilde fehlt.

Die Griechen nennen den Norden nach dem brausenden Winde Boreas; der Süden nach dem feuchten Winde Notos; Ost und West dagegen werden die helle (Euros) und die dunkle (Zephyros) Gegend, nach der Sonnenerscheinung, genannt.

Die römischen Richtungsworte beziehen sich 1. auf den Himmelspol (Nord = septem triones, die sieben Sterne des Großen Himmelswagens), 2. auf die Tagesmitte (Süd = meridies, Mittag), 3. auf die Auf- und Untergangsseite (Ost = oriens; West = occidens).

Aus dem Vergleich geht hervor, daß das germanische Richtungsbild in schon vorgeschichtlicher Zeit selbständig entstanden ist; ferner, daß in der aufgehenden Sonne die untergegangene des vorhergehenden Tages erkannt wurde; {494} daß man auch in der Nordtiefe die Sonne nur ihren Kreislauf beenden und beginnen sah.

In den deutschen Gebieten ist in den Sommermonaten auf dem Nordrande der helle Schein der unter ihm herziehenden Sonne erkennbar; in höheren germ. Breiten vollendet die Sonne ihren Kreis sogar sichtbar oberhalb des Nordrandes. In Griechenland, wo diese Erscheinungen wegen der größeren Steilheit der Sonnenbahnen fehlen, lehrten noch kurz vor dem gewaltigen Aufschwung der griechischen Naturerkenntnis Männer vom Range des Xenophanes und selbst Heraklit um 300 vor unserer Zeit, daß wie alle Gestirne auch die Sonne abends wirklich erlösche und daß beim Aufgang sich eine neue entzünde.

2. Die Beobachtung des Kreislaufs.

Ein weiteres Zeugnis für die Beobachtung des Kreislaufs bietet der germanische und wohl schon indogermanische Brauch, alle Bewegung, der man Glück wünscht, sonnläufig, d. i. mit der Sonne, rechts herum auszuführen. Mit der Sonne wird das Boot gewendet, das Tau aufgeschossen, das feuerzeugende Rad gedreht. In großartigster Weise liegt der gleiche Gedanke dem germanischen Königsritt zugrunde, durch dessen sonnläufige Umreitung des Landes die Königswahl erst rechtskräftig wurde (in Schweden die „Erichsstraße“ genannt). Recht und Sitte, Glauben und Brauch wurden auf solche Weise unter den Segen des Himmels gestellt.

Hierher gehört das auf den schwedischen Felsbildern und sonst häufig vorkommende germanische vierspeichige Radkreuz aus alter Vorzeit. Noch in geschichtlicher Zeit wird nicht nur das Bild der Sonne, sondern auch die Gesamtkreisung des Himmels als Rad und zwar als „Himmelsrad“ bezeichnet. Das Segensgestirn des Mondes scheint zunächst sonnläufig zu fahren; aber seine wahre wie der Sonne Jahresbewegung geht ostwärts, d. i. gegen die scheinbare, die nur ein Spiegelbild der Erdumdrehung ist. So scheint auch das uralt heilige Sinnbild des Hakenkreuzes in beiden Richtungen die Bewegung des Lichtes im viergeteilten Kreise, die göttliche Lichtordnung selbst darzustellen.

3. Die Grundrichtung.

Von allen Sonnenrichtungen stehen nur Nord und Süd, Mitternachts- und Mittagsstandort der Sonne unerschütterlich fest. Alle ändern Sonnenstände, in und über dem Himmelsrande, wandern mit der Jahreszeit, vom Winterpunkt zum Sommerpunkt nordwärts, vom Sommer- zum Winterpunkt südwärts. Der Aufgangs- (Untergangs-)ort der Sonne schwankt in deutschen Breiten zwischen NO im Sommer und SO (NW und SW) im Winter. Die wahre Ostrichtung kennzeichnet der Sonnenaufgang nur am Tage der Frühlings- und der Herbsttagundnachtgleiche. (Vgl. Abb. 1 u. 2.)

Die nächtliche Richtnahme (ohne Beziehung auf die Sonne) beginnt mit der Beobachtung des Drehpunktes des Himmelsrades (des Himmelspols), der die unwandelbare Nordrichtung gewährt. Von ihm geht alle andere Richtung {495} aus. Mit seiner Beobachtung erhalten die bisherigen Richtungsseiten die gleichbleibende vom Himmelsrand unabhängige Mitte. Ost und West sind auch bei der Richtnahme nach dem Drehpunkt des Himmels keine selbständigen Richtungen, sondern liegen in der Quere zur Hauptrichtung. Die in den schwedischen Felsbildern nicht selten vorkommenden nur gehälfteten Kreise scheinen hiernach die Nordsüdrichtung, in bezug auf den Himmelsdrehpunkt die Himmelsachse anzudeuten.

(Über die nordgermanische Beobachtung des Himmelspols noch in geschichtlicher Zeit siehe den II. und IV. Abschnitt.)

4. Richtlage in Glaube und Brauch.

Das germanische Richtungsbild spiegelt sich in der altnordischen Schöpfungssage, in der Richtung des Hauses, der Siedlung, des Thinghügels, des Eides, des Gebetes, des Grabes.

1. Die Schöpfungssage. Der anfängliche Urraum (altnordisch Ginnungagap) ist zwischen der riesischen Eiswelt im Norden und der riesischen Feuerwelt im Süden ausgespannt.

Zwischen beiden entsteht durch eine urgöttliche Macht (Gylf. 4) die Bewegung; aus ihrer Begegnung erwächst in der Urkluft das riesige Urwesen (Ymir), zugleich aber dessen Gegner, der Asenstamm. Diese Götter erschlugen den Urriesen und bildeten aus seinem Schädel das Himmelsdach, aus seinem Leib und Blute Erde und Meer. Aus den feindlichen Glutfunken der südlichen Feuerwelt machten die Himmlischen Sonne und die übrigen Gestirne und gaben ihnen Stätte und Bahn.

2. Bauernhaus und Königshalle werden so gerichtet, daß der Hochsitz an der nördlichen Längswand zur Südhöhe der Sonne, der niedrigere Sitz von der gegenüberliegenden südlichen Längswand zur Nordhöhe des Himmels, zum Göttersitz, blickte. Am Hochsitzpfeiler der nördlichen Längswand waren Götterbild und „Götternägel“ (die Nordsterne) ausgeschnitzt.

3. Das Dorf wird in Südnordrichtung gebaut; der zweite Siedler nimmt das Land in der Nordlage. Dem Jüngsten gehört das südlichste Landlos.

4. Der Thinghügel liegt in den Weltrichtungen. König und Gesetzessprecher stehen in Nord nach Süden, das Thingvolk in Süd nach Norden gewandt.

Der Kläger geht von Süden an das Gericht; von Nord gegen Süd erfolgen Einrede und Reinigungseid. Der Eid wird gegen die Südhöhe (Sonne im vollen Süd, zuhöchst im Rade) geleistet.

Anders als beim Rechtsverfahren, das als Kampf gilt, kommt beim Vertragsschluß, dem Vergleich, die eine Partei von Osten, die andere von Westen. Auch in diesem Gerichtsgang schlägt die Spiegelung des Sonnengangs durch. In N und S stehen sich die äußersten Gegensätze, Mitternacht und Mittag, die Anrufung der Nordhöhe von der Südtiefe aus, Sommer- und Winterwende, – in O und W der Ausgleich zwischen beiden, zwischen Licht und Finsternis, die Tagundnachtgleichen gegenüber.

{496} 5. Die Gräber zeigen oftmals eine regelhafte Richtung. Nordsüdgerichtet ist auch das bildreiche Rivikgrab aus der älteren Bronzezeit in Südschweden; das gleiche gilt von den großen Schiffssetzungen und Schiffsgräbern (Blomsholm, Oseberg, Gokstad, Ynglingehög).

6. Das Gebet ist gegen den unbeweglichen Himmelssitz, die Nordhöhe, gewandt (Bilskirnir, Walhall).

Dieser Nordrichtung des Gebets trat als Heilsrichtung der Kirche gesetzlich die Ostrichtung entgegen. In die westostgerichteten Kirchen der soeben von Karl dem Franken gechristeten Friesen ließ der Dänenkönig Gotrik (um 800) Nordtüren brechen und zwang sie, gebückt durch diese zu gehen; auf christlicher Seite ließ der Norwegerkönig Olaf Kyrre (im 12. Jahrhundert) den nördlichen Hochsitz des Bauernhauses und der Königshalle an die Ostseite verlegen. Das christliche Gebet meint die Aufgangsrichtung der Sonne (ex oriente lux; was nur für südlichere Breiten zutrifft); das germanische Gebet wandte sich zur Himmelshöhe und meinte den Himmel.

5. Der Teilungsgrundsatz.

In der Teilung des Himmelsrandes herrscht der Grundsatz fortgesetzter Hälftung. Nord und Ost treffen sich in NO, Süd und West in SW. Die weitere Hälftung führt zur uralten 8-, zur 16- und 32teilung.

Neben dieser gemeingermanischen Bezeichnung hat Norwegen in sehr alter, ebenfalls schon vorgeschichtlicher Zeit die Zwischenrichtungen nach ihrer Abweichung nur von der Südnordrichtung und zwar in Beziehung auf die nordöstlichste Küstenerstreckung des Landes bezeichnet. NO wird Landnord, SO Landsüd, die nach dem Meere dagegen weisenden Westrichtungen Außennord und Außensüd (d. i. NW und SW) benannt. Auch fernab der norwegischen Küste gelten diese Bezeichnungen. (Vgl. Abb. 2.)

Die germ. Achtteilung suchte Karl der Franke durch eine gelehrte Zwölfteilung chaldäischen Ursprungs zu ersetzen. Das Nordwestviertel sollte nicht mehr durch die Mittelsrichtung gehälftet, sondern durch zwei andere Richtungen, nämlich N 30° und N 60° W mit den Bezeichnungen Nordwest und Westnord gedrittelt werden. Karls Absicht ist gescheitert. Die heutige Kompaßteilung geht auf den germanischen Hälftungsgrundsatz zurück.

6. Himmelsgegend und Himmelsrichtung.

Aus dem Hälftungsgrundsatz folgt, daß die wahre Himmelsrichtung in der Mitte der gleichnamigen Himmelsgegend liegt. Im nordgermanischen Gebiete nennt man die acht Gegenden aett (d. i. Geschlecht; Mehrzahl aettir); die wahre (astronomische) Richtung ist aetting (auch staðr, d. i. Stätte, Stätt).

{497} Die Teilung ist gesetzlich. Nordabschnitt (Nordkante) ist der Abschnitt zwischen Nordnordwest und Nordnordost; in seiner Mitte liegt der wahre Nord. Weiter unten werden wir sehen, daß als Nacht die Zeit gilt, die die Sonne braucht, um diesen Abschnitt zurückzulegen.

Für die wahren Himmelsrichtungen gebrauchen die germanischen Seevölker wie vor alters, so noch heute die Bezeichnungen rechtnord, rechtwest usw.

7. Die Himmelsrichtungen als Zifferblatt.

Bei allen Völkern ist die Tages- und Nachtzeit nach dem Stande der Gestirne über bestimmten Landmarken wie Bergen, Bäumen und anderen Überhöhungen des Himmelsrandes bestimmt worden [4]. Über dieses einfache, von der Gestaltung des Himmelsrandes abhängige Verfahren hinaus hat der germanische Raum ein eigenes, sonst auf der Erde nicht gebrauchtes Zeitbestimmungsverfahren entwickelt, indem er an die Stelle der zufälligen Landmarken das von aller Landgestaltung und vom Beobachtungsorte unabhängige, unveränderliche und allgemeingültige Zifferblatt der wahren Himmelsrichtungen setzte und den Zeitablauf durch den Gestirngang über oder unter diesem Richtungskreise teilte. (Vgl. Abb. 2.)

Als Zeitgestirne sind bei Tage die Sonne, bei Nacht Mond und Sterne in Gebrauch gewesen. Zu den Sternen siehe unten den Abschnitt über den Gestirnten Himmel.

Das Verfahren beruht darauf, daß, je nördlicher wir uns befinden, der Himmelspol um so höher steht, die Gestirnbahnen also desto flacher liegen. Je waagrechter aber das Gestirn kreist, um so mehr fallen gleiche Teilungen des Himmelsrandes und des Gestirngangs zusammen, um so mehr nähern sich Himmelsrichtung und Zeitwert. Das Verfahren ist daher im Mittelmeergebiete nicht brauchbar, desto besser im Norden. Der Zeitausdruck „Sonne in Ostmitte“ verändert seinen Wert während des Sommerhalbjahrs auf der Breite von Tunis um rund 2½ Stunden, auf Island nur um ¾ Stunden. Die isländische Veränderung ist kaum merkbar; die mittelmeerische kaum erträglich.

Der Versuch der mittelalterlichen Kirche, das südländische Verfahren, das sog. Temporalstundensystem, in den Norden einzuführen ist gescheitert. Es teilte die Zeit zwischen Auf- und Untergang der Sonne in 12 Tagesstunden, die Zeit zwischen Untergang und Ausgang in 12 Nachtstunden. Da die Nächte im Winter länger als die Tage, im Sommer kürzer als jene sind, sind die Stunden ungleich; die Tagesstunden sind im Winter kürzer als im Sommer. In den mittelmeerischen Breiten war der Unterschied erträglich; auf Island dagegen, wo der Tag nach römischem verfahren im Sommer 21, im Winter nur drei Stunden unserer heutigen Stundenrechnung dauerte, hatte die damalige Stunde der kirchlichen Art im Sommer eine Dauer von 1¾, im Winter von ¼ Stunde unserer heutigen Rechnung. Die Untauglichkeit des mittelalterlichen Temporalstundensystems mußte schon bald nach seiner Einführung im Norden auf Widerstand stoßen, nachdem es dort zu großer Verwirrung geführt hatte.

Unsere 24 gleichlangen Stunden sind erst im Gefolge der Schlaguhren im 14. Jahrhundert gebräuchlich geworden.

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8. Die Eyktteilung.

(Vgl. Abb. 2.)

Den acht Himmelsgegenden (aettir) entsprechen ebensoviele Zeitabschnitte (eyktir; Einzahl die eykt, Wahrscheinlich verwandt mit dem deutschen „Joch“), die das Zeitgestirn zum Überqueren der betreffenden Himmelskanten gebrauchte. Bei den germanischen Seevölkern hat sich daher in schon vorgeschichtlicher Zeit die folgende Tagesteilung entwickelt:

Der Sonnengang durch den Nordabschnitt bedeutet auf Island gesetzlich Nacht; Sonne in Nordmitte also Mitternacht. Die Sonne im Nordostabschnitt wird Uchte (ótta), das ist Tagesgrauen, genannt. Mit dem Übergang in den Ostabschnitt beginnt der Morgen; Sonne in ONO ist Morgenbeginn und im Sommerhalbjahr die Aufstehzeit (rismál). Die Sonne in Ostmitte zeigt Mittmorgen an. An die Morgeneykt schließt sich im Norden die Tagesspeisezeit (dagmál); in ihrem Beginne steht die Sonne in OSO, d. i. altnordisch Dagmalstätt. Die weiteren Abschnitte dieser Gestirnuhr sind aus der Zeichnung zu ersehen. Am Ende der Nachmittagseykt steht die Sonne in Westsüdwest; es ist (im Sommerhalbjahr) Arbeitsschluß, Eyktstätt. Sie liegt der Aufsteheeykt gegenüber, so daß der Tag durch den ONO- und WSW-Stand der Sonne in zwei gleiche Teile (doegr) geteilt wird. Mit dem Übergang in den Westabschnitt beginnt der Abend; Sonne in Westmitte bezeichnet Mittabend. (Zur Eyktteilung in Deutschland siehe Abb. 3.)

Mit dem Herbst-Untergange der Sonne in der Eyktstätt beginnt außerdem im Norden das Winterhalbjahr, in dem alle Feldarbeit ruht. Bestimmte man in den Winternächten die Zeit nach den Sternen oder dem Monde, so behielten die Eyktstätten doch ihren vom Sonnengange genommenen Namen bei. „Der Stern ist in Mittagsstätt“ bedeutet seine Süd- und Höchststellung. Bei der Verfrühung der Sterne gegen den Sonnengang, die täglich etwa vier Minuten beträgt, mußte ein Zeitgestirn das andere ablösen. Die Aufforderung „Sieh’ nach dem Stern“ zielt im Winter auf das Siebengestirn (Plejaden), im Frühjahr auf den Tagstern (Arktur).

Die Zeitbestimmung nach dem Monde erforderte eine besondere Regel, da dieses Gestirn wegen seiner sichtbaren wahren Ostbewegung in der gemeinsamen scheinbaren Westbewegung mit den übrigen Gestirnen nicht gleichen Schritt hält.

Bei bedecktem Himmel half man sich auf vielerlei Weise; wesentlich, wenigstens an der Küste, war die Beobachtung des gesetzmäßigen Eintreffens von Ebbe und Flut. Das Rechnen mit den etwa zwölfstündigen Flutfolgen hat im germanischen Norden früh zur Teilung des Tages in zwei Halbtage (doegr) geführt, deren Beginn, von Tag zu Tag verspätet, im Monatskreise zur nahezu selben Tageszeit wiederkehrte.

9. Eyktmarken und Beobachtungsstein.

Zur Erleichterung der Zeitbestimmung baute man, wie erwähnt, das Haus von vornherein in die Himmelsrichtungen, so daß, wer aus einer der Türen {499} trat, die betreffende Himmelsrichtung bereits vor sich hatte, ohne sie erst in jedem Falle feststellen zu müssen. Wer aus der Südtür trat, hatte vor sich den wahren Süden, rechts den wahren West, zur Linken den wahren Ost. Lag aus irgendwelchen Gründen das Haus nicht in den Himmelsrichtungen, so erbaute man, wenn zudem natürliche Überhöhungen des Himmelsrandes als Eyktmarken fehlten, künstliche Warten, welche die Himmelsrichtung anzeigten.

Da aber mit jedem Schritt des Beobachters die Eyktmarke sich gegen die Himmelsrichtung verschieben mußte, so galt die Zeitbestimmung über derartigen Eyktmarken nur von einer festgesetzten Beobachtungsstelle aus. Auf dem isländischen Althing (und anderswo wird es auch so gewesen sein) wurde der Sonnengang „vom Sitze des Gesetzsprechers“ beobachtet. Vor jedem altisländischen Hause, und zwar vor der Haustür, lag der „Hausstein“, auf den der Beobachter treten mußte, um nach dem Stande der Sonne, des Mondes oder des gesetzlichen Zeitgestirns die wahre Zeit zu bestimmen.

Hiernach sind die Eyktmarken nur Behelfe für die wahre Himmelsrichtung. Die Kenntnis der wahren Himmelsrichtungen entstammt einer planmäßigen Himmelsbeobachtung.