Germanien, 1940, S. 282–290.
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Baumtanz und Trojaburg
Die seltenen und seltsamen Trojaburgen haben in den letzten Jahren oft die Aufmerksamkeit der Forscher angezogen und dabei auch eingehende Behandlung und Deutung gefunden. Man hat sie zumeist als Plätze eines kultischen Spieles, ihre geschlungenen Wege als Bahnen eines Tanzes und zugleich als Abbild und Sinnbild der Sonnenbahn oder eines um einen Mittelpunkt gelagerten Lintwurms oder eines Drachens bezeichnet. Nun ist die eigentliche „Wurmlage“, die Spirale, sowohl bei den wirklich wie bei den nur bildlich erhaltenen Denkmälern dieser Art recht selten, und die für alle Trojaburgen sehr charakteristische nierenförmige Anordnung der Wege kann als Wurm- oder Schlangenform nicht angesprochen werden, besonders dann nicht, wenn die Bogen sehr zahlreich sind, wie das etwa auf dem alten Bilde der Stolper Windelbahn gut zu sehen ist. Es erscheint also sehr wünschenswert, worauf hier nur nebenbei hingewiesen sei, daß diese Frage des Lintwurms einer genauen und sachlichen Nachprüfung unterzogen wird. {283}
Abb. 2
Seltsamerweise hat weiterhin die andere Seite dieser Deutung der Trojaburgen, nämlich der Tanz und seine
Beziehungen zu den eigentümlichen Windungen und Bogen des Tanzplatzes, bis jetzt, von ganz allgemeinen Bemerkungen
abgesehen, keinerlei Bearbeitung gefunden. Plaßmann ist, soviel ich sehe, der einzige, der in dieser Zeitschrift
(1939, S. 113 ff.) den Tanz der Metzgergilde auf einen solchen Windelbahn- oder Labyrinthtanz zurückgeführt
hat, und zwar zum erstenmal und mit voller Berechtigung ausgehend von der äußeren, in der Darstellung des
Schembartbuches sichtbaren Form dieses Fasnachttanzes. Eine Betrachtung der Trojaburgen unter diesem Gesichtspunkt als
Tanzbahnen gibt nun wichtige Aufschlüsse, die, fern jeder rein gedanklichen Konstruktion, den Brauch in eine schon
bekannte Umwelt stellen, weitere ähnliche Bräuche einbeziehen und damit eine auf diesem Teilgebiet klare
Deutung ermöglichen.
Es erscheint bei unserer Untersuchung förderlich, nicht von den Grundrissen auszugehen, die ja immer nur die Umgrenzungen oder Umrahmungen angeben, sondern von dem Weg eines Tänzers in einer solchen Trojaburg. Nehmen wir zuerst die Windelburg von Stolp, wo nach einem Stich und einer Beschreibung von 1784 der Tänzer in der Mitte anfängt. Er beschreibt zuerst eine Spirale, die in drei Windungen immer in derselben Richtung den Mittelpunkt umkreist. Danach folgt nun jene eigentümliche nierenförmige Anlage der Bahn, die als Grundriß betrachtet verwirrend und unklar wirkt. Achtet man aber auf die Bewegungsform und -richtung dessen, der die Bahn durchtanzt, so findet man zum nicht geringen Erstaunen eine ebenfalls sehr einfache Umkreisung des Mittelpunkts, die nur immer nach je einer Umkreisung die Richtung wechselt, d. h. einmal mitsonnen, daraufhin gegensonnen vor sich geht. Dabei ist deutlich zu sehen, daß die Umkreisung jeweils fast vollständig ist, so gut dies eben bei den nebeneinander liegenden, sich nicht überschneidenden Bahnen möglich ist. Die gleiche dreimalige Umkreisung in einer Richtung mit darauffolgendem mehrmaligem Hin und Her läßt deutlich der Grundriß der Trojaburg der Insel Wier erkennen. Ähnlich ist der Wunderkreis von Kaufbeuren (Anm. 1). Hier sind nur in der Mitte zwei Spiralen ineinander geschlungen. Die Wirkung ist dadurch so, daß bei dem Eindringen in die Mitte diese zuerst dreimal in der einen, daraufhin dreimal in der anderen Richtung umrundet wird. Dann erst beginnt das mehrmalige Hin und Zurück in den Außenkreisen. Anscheinend gehört auch der alte Grundriß des Rades in der Eilenriede zu Hannover von 1736 hierher (Anm. 2). Er ist wohl nicht ganz richtig ausgezeichnet, denn es fehlt ihm ein
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Anfang und Ende der Bahn.
Abb. 1
Auch die Mitte ist in der überlieferten Zeichnung sehr eigentümlich in ihrer
großen S-Form, und man könnte annehmen, daß sie ursprünglich eine doppelte Spirale wie in Kaufbeuren
enthielt. Auch Borgo (Anm. 3) hat eine ähnliche doppelte Spirale in der Mitte der Trojaburg. Hier aber
spürt man schon eine Hinneigung zu einem anderen Typ, bei dem auch die Mitte von einer Figur erfüllt ist, in
der die Bewegungsrichtung nach jeder Umkreisung wechselt.
Bei Steigra, Graitschen (Anm. 4) und Wisby, die im Grundriß völlig gleich bzw. spiegelgleich sind,
{285} kann man in der Mitte je dreimal einen Weg hin und zurück feststellen, woran sich dann wiederum drei, wenn auch um einen Rückweg verminderte Umkreisungen anschließen. Vollkommen gleich bzw. spiegelgleich sind die Labyrinthe von Knossos, vom Krug von Tragliatella und von der mittelalterlichen Mondstadt Jericho (Anm. 5). Hier ist sowohl innen wie außen je eine Umkreisung weniger vorhanden.
Aus diesen Formen müßte also eine Tanzform zu erschließen sein, die mit einer dreimaligen Umkreisung einer Mitte in einer Richtung oder im Hin und Zurück beginnt und daran eine dreimalige oder mehrmalige Umkreisung im Hin und Zurück anschließt. Nicht verständlich ist es dabei, daß diese Rundtänze an die eigentümliche Spiral- und Nierenform gebunden sein sollen und nicht auf einem einfachen Kreis stattfinden können, der sich im Grundriß als einfacher Steinkranz oder als kreisrunde Umhegung anderer Art kennzeichnen würde. Diese seltsame Tatsache, daß für die Umkreisungen statt einer einzigen Kreisbahn eine Spiral- und Labyrinthform benutzt wird, findet nun eine überraschende Erklärung und erweist sich dabei als wirklich notwendig, und zwar nur aus der Eigenart der Tanzform.
Abb. 6
Es haben sich nämlich in der Tat Tänze derartiger Form erhalten. Wenn auch die Beschreibungen leider nicht
sehr genau sind, so geben sie doch die uns hier angehenden Hauptzüge vollkommen einwandfrei wieder. Es handelt sich
dabei um einen eigenartigen Tanz um den Baum in der Mitte eines Festplatzes, der zumeist „Plantanz“
heißt. Über diesen sehr altertümlichen und kultisch höchst bedeutsamen Tanz wurde im Zusammenhang
mit der Dorflinde in dieser Zeitschrift 1938, S. 349, kurz gehandelt. Hier sei nun das herausgehoben, was in Beziehung
zu den Formen der Trojaburgen steht. Heßler (Anm. 6) berichtet von einem Kirmestanz in Buchonien
(Gegend von Fulda) um einen hohen aufgerichteten Fichtenbaum, der bezeichnenderweise „Linde“ genannt wird,
obwohl er botanisch ein Nadelbaum ist. Der Zug der Burschen und Mädchen, voran der Bürgermeister, einen mit einem
Strauße gezierten Stab hochhaltend, umschreitet dreimal die Linde. Dann werden „drei Reihen“ um den
Baum getanzt,
während alle weiteren Tänze im Wirtshaus stattfinden. Ganz ähnlich scheint es bei der Kirmes in
Wolfsbehringen gewesen zu sein (Anm. 7).
Hier ist mitten im Dorf ein Hügel mit Linden besetzt und mit
großen Steinen eingefaßt. In der Mitte liegt unter der Hauptlinde ein mächtiger Stein als Tisch. Der Zug
der Tänzer, die Spielleute voran, alle Burschen mit Ruten in den Händen, hüpft einigemal im Kreise um den
großen Stein herum. Dann erst beginnt der eigentliche Tanz mit einem Vorreihen des Platzmeisters, dem die anderen
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Paare folgen. Ist in diesen Tänzen die erste Art unserer Trojaburgen zu ahnen, in der Umschreitung der innere
Spiralteil, in den drei Reihen der äußere nierenförmige Teil, so können wir auch die Kaufbeurer
Anlage in anderen Berichten wiederfinden. So schreibt Wilz (Anm. 8) vom fränkischen Plantanz,
daß der Zug
der Burschen und Mädchen den Baum dreimal umschreitet, dann dreimal in entgegengesetzter Richtung. „Damit
soll der Plan geheiligt und geweiht und alles Unreine und Unheilige gebannt werden.“ Hier versteht man nun auch,
warum dieses Umschreiten nicht auf einem Kreis erfolgen kann, denn wenn ein ganzer Zug von Tänzern und
Tänzerinnen die beschriebene Umkreisung vollbringen will, muß notwendigerweise eine Doppelspirale wie in
Kaufbeuren entstehen. Etwas anders und wohl vereinfacht ist es, wenn in der Rhön (Anm. 9)
der Schultheiß allein beim Plantanz erst „dreimal so und dreimal so“ auf dem Tanzplatz herumgeht,
worauf dann erst alle Plan-burschen und -mädchen die drei Reihen tanzen.
Abb. 5
Auf die dritte Art, wie sie etwa Graitschen und Knossos
darstellen, deutet ein Bericht aus Waltrowitz in Mähren (Anm. 10). „Zuerst machen
die Burschen einen sogenannten Rundumerdum, d. h.
sie fassen sich bei den Händen, machen einen Kreis um den Baum und springen
einmal in der, einmal in jener Richtung herum. Sodann tanzen sie drei Stücke.“ Ohne Zweifel ist der Paartanz,
der sich heute in Gestalt der drei Reihen zumeist anschließt, nicht sehr alt. Man tanzt dabei Walzer, Schottisch
usw., Tänze also, die wir für die Frühzeit, mit der wir rechnen, nicht voraussetzen können.
Außerdem gibt die in allen Berichten betonte Dreiheit der „Reihen“ einen deutlichen Hinweis auf einen
tieferen Urgrund dieser Tänze, wobei auffällig ist, daß sich diese Dreizahl bis heute erhalten hat und
selbst dort unter dem Baum aufgeführt wird, wo das eigentliche Tanzvergnügen in einem Saal
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stattfindet. Wir dürfen also wohl mit gutem Grund annehmen, daß in alter Zeit diese drei Reihen wirkliche
Reigen waren und dabei den Baum dreimal umkreisten.
Derartige Reigen sind öfter zu belegen.
So berichtet Schmitz (Anm. 11) aus der Eifel, ohne allerdings
eine besondere Spiral- oder Labyrinthform zu nennen, daß der
Kirmestanz vor der Kirche bei der großen Linde gehalten wurde.
Abb. 3
„Bei dem Tone einer einzigen Schalmei tanzten
Hunderte, und zwar keinen anderen Tanz als den Ringeltanz.“ Daß ein solch langer Reigen Umkreisungen des
Baumes in der Mitte nur in Spiralform oder, falls Richtungswechsel gefordert wird, nur in der eigentümlichen
Nierenform ausführen kann, ist einleuchtend. Sehr schön ist auch ein Schweizer Beispiel, das Uhland
anführt (Anm. 12). „Eines Sonntagsabends begannen auf der Schloßwiese
zu Greyerz sieben Personen einen Ringeltanz, der erst am Dienstag morgens auf dem großen Marktplatz
zu Saanen aufhörte, nachdem sich 700 Jünglinge und Mädchen, Männer und Weiber
für und für hatten einreihen lassen, daß das
Ganze aussah wie ein Schneckenring.“ Wenn hier der Baum als Mittelpunkt des Tanzes fehlt, so ist er um so
beziehungsreicher und eine besondere Bedeutung ahnen lassend beim alten Reihentanz der Salzsieder in
Schwäbisch-Hall zu finden (Anm. 13). Das Fest wurde hier alle drei Jahre auf einer kleinen,
von uralten Linden beschatteten Insel aufgeführt.
In der Mitte saßen die Musikanten unter einer großen Linde. Querpfeifen
und Trommel waren ihre Instrumente. Der Tanzende nahm seine Jungfer nur züchtig beim Finger und kam ihr
während des Tanzes niemals näher. Doch kann dieser Paartanz (wenn nicht überhaupt bei der Schilderung ein
Reigen vieler Paare gemeint ist) nicht das eigentlich Kennzeichnende gewesen sein, denn es wird weiterhin berichtet:
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„Der Tanz blieb sich fortwährend gleich, nur daß der Kreis zuweilen in eine Schlangenlinie
verwandelt wurde.“ Er muß also dem Tanz in langer Reihe und seinen Verschlingungen sehr ähnlich gewesen
sein. Alle diese Berichte zeigen nun deutlich, wie sehr Spirale und Kreis als Tanzformen „nur von einem
bedeutsamen Mittelpunkt zu verstehen sind“ (Anm. 14).
Sie sind hier kein Selbstzweck, haben auch nicht in sich selbst
Bedeutung, sondern sind eben nur als Umkreisungen zu werten. Dieses Umkreiste nun ist in den Trojaburgen oft
vorhanden. Bei Wisby ist es ein Stein, bei Graitschen heute noch eine kleine Rasenerhöhung, die auch auf dem Siegel
deutlich hervortritt, wenn sie auch hier fälschlicherweise nicht in der Mitte liegt.
Abb. 4
Die Abbildung der
mittelalterlichen Mondstadt Jericho zeigt ein Gebilde, das man wohl als Baum, zumindest als Sproß deuten darf.
Mitten in der Trojaburg von Stolp stand bedeutsam auf einer Anhöhe ein Baum. Von besonderem Wert aber ist es nun,
daß auf einem Frühlingsbild des Lucas von Valckenborch von 1587 ein dreistufiger Baum mitten in einer solchen
Trojaburg aus Hecken steht. Man könnte freilich an eines jener damals in der höfischen Gartenkunst beliebten
Labyrinthe denken, aber daß diese Labyrinthe in den Gärten zwar reich und eigenartig entwickelt worden sind,
doch letztlich aus dem Volksbrauch stammen, ist nie bezweifelt worden. Der dreistufige Baum hat sich darüber hinaus
als Kultbaum der Frühlingszeit so eindeutig an unzähligen Beispielen erweisen lassen, daß es nicht noch
der ausdrücklichen Verwendung als
Attribut dieser Jahreszeit in Valckenborchs Bild bedurft hätte, um diese Bedeutung zu erhärten. Noch wichtiger
ist es für uns, daß in einem ähnlichen Frühlingsbild von Hans Bol statt der dreistufigen Linde ein
Maibaum mitten in einer solchen Trojaburg steht. Hier ist nicht zu bezweifeln, daß wir es mit einer nur aus dem
Brauch verständlichen Zusammenstellung zu tun haben. Baumtanz und Trojaburg gehörten also innerlich
zueinander, und es ist deshalb zutiefst berechtigt, daß man bei der Verlegung des Rades in der Eilenriede in die
Mitte eine Linde gepflanzt hat, so wie ja auch bei Graitschen der Tanzplatz unter Bäumen und bei Steigra alte
Linden in der Nähe sind.
Aus all diesen Beziehungen wird nun deutlich, daß der Urgrund des Tanzes in der
Troja-{289}burg
dort liegt, wo ihn schon Krause und nach ihm viele andere vermutet haben, in den Maibräuchen mit der
Gewinnung der Maibraut unter dem Maibaum.
Abb. 7
Und doch hat unsere Betrachtung den Schwerpunkt etwas verlagert.
Entscheidend wichtig erscheint vor allem die Rolle des Baumes,
der als Kultbaum durch die dreimaligen Umkreisungen verehrt wird und
der uns mit diesem Brauch in eine Zeit zurückleitet, die weit vor der Maibraut und dem Drachenkampf liegen
muß, eine Frühzeit, in der er als Welt-
und Lebenssinnbild höchste Verehrung genoß. Die Form der
Trojaburgen aber hat unter diesen Gesichtspunkten mit Symbolen irgendwelcher Art, auch mit der Sonnenbahn oder dem
Lintwurm nichts zu tun. Sie ist bestimmt durch die Form des kultischen Tanzes um den Baum, ist festgelegte Tanzbewegung
und dadurch „heiliger Raum“ geworden. Ihre einfachste und urtümlichste Anlage, die wir vielleicht in
dem Wunderkreis von
Kaufbeuren noch ahnen können, weil hier auch für die längste Tanzreihe kein Ende und Aufhören ist
(in Stolp oder Wier kann nur ein einzelner beginnen), hat mancherlei Wandlungen im Laufe der Jahrtausende erfahren, von
den immer noch an älteste Bräuche gebundenen Tanz-
und Festplätzen der verschiedensten Bünde und
Gilden bis zu den am Zeichenbrett ausgeklügelten Labyrinthen der Kirchenfußböden und der
Prunkgärten. Und wenn auch diese Trojaburgen heute seltsam und geheimnisschwer und fast abgestorben ihr Dasein
gerade nur mühsam fristen, so leben doch immer noch der Plantanz und die vielen von ihm abhängigen
Kirmes- und
sonstigen Baumtänze, immer noch grünt die Linde inmitten des Dorfplatzes der bäuerlichen Gemeinschaft,
und sie und der Maibaum sind Mittelpunkt eines neuen Lebens unseres unsterblichen Volkes.
Zu den vorstehenden grundlegenden Ausführungen möchte ich noch eine Abbildung einer Trojaburg beisteuern, die ich unserem Mitarbeiter Dr. Werner Schulte (im Felde) verdanke. Sie zeigt die Windelbahn an einer höchst ungewöhnlichen Stelle, nämlich als Sinnbild auf dem Türbalken (mndl. overdorpel) eines Bauernhauses in dem Dorfe Marmeke im Kreise Olpe im westfälischen Sauerland (Haus Nr. 25 vom Jahre 1775). Das Sinnbild – als solches dürfen wir es hier bezeichnen – ist zweimal angebracht; die beiden Ausführungen weichen etwas voneinander ab. Sie sind in einen Spruch hineingesetzt, der die übliche Bitte um Schutz vor Brand enthält: „Jesu, Maria, Josep Saget (An?): Pewar Dis Haus Fur Für und Prand“. (Die scheinbar oberdeutschen P im Anlaut besagen wohl kaum etwas über den Verfasser der Inschrift, und noch weniger über die beiden Sinnbilder.) Die drei Angerufenen sollen selbst die Bitte um Schutz vor Feuer und Brand aussprechen.
Haben wir in diesen Zeichen nun reine Sinnbilder zu sehen, Sinnbilder des Sonnenlaufes und damit Heilszeichen von allgemeiner Bedeutung? Ich glaube, wir können im Zusammenhang mit den vorstehenden Ausführungen von Friedrich Mößinger noch eine engere und gesondertere Beziehung herstellen. Wie Mößinger erwähnt, habe ich in meinem Aufsatz über den Fasnachtsbrauch der Metzgergilde („Germanien“ 1939, S. 109 ff.) die Beschreibung eines von der Metzgergilde in Münster im 16. Jahrhundert ausgeführten Brauches auf einen Labyrinthtanz gedeutet. Dieser Labyrinthtanz wurde nun nach der ebendort erwähnten Röchellschen Chronik auch unter der großen Hoftür getanzt, die die alt-münsterischen Häuser damals noch wie die Bauernhäuser hatten: „Wenn sie vor eines Fleischhauers Haus kamen, so mußte man ihnen die untere Tür ganz öffnen. Dann blieben die, {290} die zu Pferde waren, vor der Türe auf der Straße halten, die Gildemeister mit der Braut gingen in einer Reihe in das Haus und faßten in die Ringe, die sie in den Händen trugen, und der eine zog den anderen nach. Wenn es dann an die Knechte kam, so zogen diese den Schwengel, so daß der eine hier, der andere dorthin fiel, worüber sich großes Gelächter erhob.“
Die „untere Tür“ ist hier, worauf ich schon hinwies, die bei den westfälischen Bauernhäusern übliche untere Hälfte des Tores zur Dieleneinfahrt, die sogenannte „Niendör“ („Niedentür“). Eine solche „Niendör“ sehen wir nun auch auf dem Bilde aus Marmeke; der obere Teil des Tores ist geschlossen, von dem unteren ist anscheinend die rechte Hälfte geöffnet. Wir dürfen nun wohl annehmen, daß der Brauch des Labyrinthtanzes in der Niedentür nicht auf Münster beschränkt, sondern als eine ursprüngliche bäuerliche Sitte in ganz Westfalen verbreitet war. Und da liegt die Annahme sehr nahe, daß die beiden Trojaburgen oberhalb des Tores die Erinnerung an den einst unter dem Tore getanzten Windeltanz bewahren, womit die Anbringung an dieser Stelle erklärt ist. Sie behalten darum natürlich ihre Eigenart als Heilszeichen im allgemeinen Sinne; denn auch der Tanz selbst war ja eine sinnbildlich-brauchtümliche Handlung von zweifellos heilbringender Bedeutung. Dieser m. W. einzigartige Beleg ist deshalb so bedeutsam, weil er Sinnbild und Brauch in einer höchst seltenen Verbindung erschließen läßt.
Zu dem Ortsnamen Marmeke sei noch erwähnt, daß er die echt sauerländische Umbildung des mittelniederdeutschen „Marnbeke“ darstellt (das als Marenbach auch im benachbarten belgischen Lande vorkommt); er ist zusammengesetzt aus altsächsisch mâri, „licht, glänzend“, und bêki, „Bach“.
Plassmann.
1. | Wiechel, Mitteil. d. Vereins f. sächs. Volksk. VI, 1912/1916, S. 97. |
2. | Dr. K. Fr. Leonhardt, Sonderheft der Hannoverschen Geschichtsblätter 1938, S. 52 und S. 63 (Grundriß von 1736 und 1858). |
3. | Krause, Die Trojaburgen Nordeuropas 1893, S. 19, Abb. 4. |
4. | Ich möchte, eben wegen der vollkommenen Gleichheit mit Steigra und Wisby, deshalb auch nicht annehmen (wie Stief, Odal 1936, 989), daß ein Ring weggefallen sei, zumal auch das Gemeindesiegel die gleiche Form zeigt, allerdings nicht den Grundriß, sondern den Weg. |
5. | Leonhardt, a. a. O. 89. |
6. | Hess. Landes- u. Volkskunde II 1904, 351/52. |
7. | Witzschel, Sagen, Sitten u. Gebräuche aus Thüringen 1878, 331/32. |
8. | Bayr. Heimatschutz XXIV 1928, 30 ff. |
9. | Ztschr. d. Vereins f. Hess. Gesch. u. Landeskunde Kassel 1854, 563 f. |
10. | Wiener Ztschr. f. Volksk. 1937, 48 ff. |
11. | Sitten und Sagen des Eifler Volkes I 1856, 47 f. |
12. | Ges. Schriften III 1866, 398. |
13. | Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland I 1886, 147. |
14. | Hans v. d. Au, Das Bolkstanzgut im Rheinfränkischcn 1939, 47. |