Germanien, 1936, S. 83–86.
Figure 1 is both printed in negative and reversed (cf. the same plan in Mössinger).
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Eine Trojaburg in Pommern
Der Aufsatz von Haye Hamkens („Germanien“, 1934, H. 12, S. 359 ff.) nennt eine der wichtigsten deutschen Trojaburgen nicht: Die zu Stolp in Pommern. Sie ist vielleicht deshalb bisher den Forschern wie Ernst Krause, Paul Liebeskind, H. Wiechel, E. Schnippel entgangen, weil sie den seltsamen Namen „Windelbahn“ (Wendelbahn) führt und weil dort nicht Bauern oder Kreuzritter, wie an den preußischen Jerusalemshügeln, sondern einfache Schuhmachergesellen ihren eigenartigen Tanz aufführten. Nachdem 1908 das letzte Windelbahnfest dort gefeiert worden ist, hat die Stadt den Platz aufgekauft, der bis dahin der Schuhmacherinnung gehörte, und hat die Kostüme, Geräte und den alten Grundriß der Tanzbahn ins Museum bringen lassen.
Das Windelbahnfest der Stolper Schuhmacher war ein echtes Maifest, wurde es doch am Dienstag nach Pfingsten begangen und hatte überdies mit anderen deutschen Pfingst-veranstaltungen die Wahl eines Maigrafen gemein. Nicht nur Patriziersöhne, auch Handwerkergesellen haben in norddeutschen Städten dieses Frühlingsvorrecht der Jungmannschaft ausgeübt. Nachdem am Vormittag zwei Gesellen als Narren verkleidet in alter Weise Gäben für das Fest erbeten hatten, erfolgte nachmittags der feierliche {84} Aufzug der Gesellen mit ihrer Fahne. Neben ihr schritten zwei Fahnenjunker, dahinter kamen der Maigraf mit den beiden Lademeistern der Innung, ferner die gewählten beiden Ober- und Unterschäffer, danach die Gesellen, ein sogenannter Schreiber, und endlich, auf Tragbahren von den Lehrlingen getragen, die beiden Narren.
Auf die Kleidung und die Mitführung der Handwerkszeichen sei hier nicht eingegangen. Sie entsprechen dem, was bei
Zunft- und Gesellenfesten üblich war. Wichtiger ist die Anlage der Windelbahn, zu der man hinausmarschierte.
Abb. 1
An der
Kreuzung der späteren Aucker- und Bütowerstraße hatten die Gesellen einen niedrigen Wall angelegt, etwa
120 Schritte im Umfang, und oben in geeigneten Abständen Bäume gepflanzt. Zwischen dem Wall wurde in etwa 150
Fuß Durchmesser die Figur im Rasen ausgestochen, und zwar fing man damit in der Mitte an. Es entstanden
labyrinthartige, kunstvoll verschlungene Linien, die wie bei bronzezeitlichen Fibeln sich begegnen und wieder
auseinanderlaufen. Sie ergeben auf jeder Seite je acht Bahnen, die wie Sonnenlaufbögen auf alten Darstellungen
wirken. Ein schwedisches Julbrot mit Hakenkreuz in Urform, das auf der urreligionsgeschichtlichen Ausstellung in Berlin
1933 zu sehen war, zeigt ebenfalls diese Sonnenlaufbögen. Dagegen sind sie auf einem eisenzeitlichen Spinnwirtel
von Hohenwutzow bei Königsberg durch das alte Sinnzeichen der acht Punkte angedeutet. Ein solches Zeichen befand
sich auch im Geäst der Mervigslinde bei Nordhausen, und es ist bezeichnend, daß zu diesem Baum
alljährlich die Schuhmacherzunft von Nordhausen einen Festzug veranstaltete.
Die Stolper Schuhmachergesellen pflanzten, an der Windelbahn angekommen, ihre Fahne auf. Dann sprach der Maigraf eine Rede in Versen und begann danach im „Kiebitzschritt“ auf der mit Blumen oder frischem Sand bestreuten Bahn seinen Tanz (der Kiebitz hüpft etwa 1 m vor, bleibt auf einem Fuß stehen und stützt den ändern ein wenig) . Nach etwa einer Viertelstunde hatte der Maigraf die Hälfte der Bahn durchtanzt und hielt inne. Sogleich überbrachte ihm der Altgesell einen Pokal, den der Maigraf unter dem Jubel der Menge leerte. Dann ging der Tanz in derselben Weise weiter, bis der Tänzer an dem Ende der Bahn aus ihr herausschritt. Nach ihm tanzten die beiden Oberschäffer. Einer fing seinen Tanz von innen an, der andere von außen. In der Mitte trafen sie aufeinander, begrüßten sich und tranken aus den vom Altgesellen überreichten {85} Gläsern. Dann trat jeder dem ändern die Bahn ab, die er schon durchlaufen hatte. Es war nicht leicht, aus den verschlungenen Windungen sich herauszufinden, und wer etwa eine falsche Windung betrat oder den Ausgang nicht finden konnte, wurde weidlich ausgelacht. Nach weiteren Ansprachen traten auch die beiden Narren auf, um mit altherkömmlichen Schusterwitzen die Zuschauer zu belustigen. Nach feierlichem Umzug um die Windelbahn zog man zum Festball in ein Gasthaus.
Abb. 2
Das Wesentliche am Windelbahnfest sind nicht die zeitgebundenen Festbräuche wie Reden, Trunk, Umzug oder Festball;
diese sind Zutaten der späteren Entwicklung und stammen aus der Festkultur der Handwerker. Die Fahne, die an der
Bahn aufgepflanzt wird, auch das Auftreten der Narren gehören schon in ältere Schichten des Brauchtums.
Einzigartig aber ist die Anlage der Tanzbahn und der offenbar uralte Tanzschritt, hier Kiebitzschritt genannt, nach dem
eigenartigen Hüpfen. In Kreta heißt er Kranichtanz. Dieser Schritt nun läßt die von Hamkens nicht
erwähnte Erhaltung des uralten Maifestes unserer Vorfahren im alljährlich zur Frühlingszeit von den
Kindern gesprungenen Kinderspiel, das als Paradiesspiel, Himmel und Hölle, Himmelhuppe usw. bekannt ist, erneut
deutlich werden. Schon vor dem Weltkrieg hatte H. Wiechel für Sachsen dies Spiel genau untersucht und auf den
Zusammenhang mit den Trojaburgen hingewiesen. Später kennzeichnete E. Schnippel den Zusammenhang zwischen den
ostpreußischen „Jerusalemshügeln“ und dem Frühlingsspiel der Kinder. Während des
Weltkrieges gelang es mir, die Verbreitung des Spiels besonders auf der Balkanhalbinsel nachzuweisen. Auch wurde das
Tänzelfest der Kinder in Kaufbeuren und das „Schlangenziehen“ beim Naumburger Kirschfest in die
Betrachtung hereingezogen. Endlich hat die neuere Erforschung des Schwerttanzes (Meschke) darauf hingewiesen, daß
„zwischen Band- oder Tiergeflechtornamenten der Völkerwanderungszeit und dem Schwerttanz eine frappante
Übereinstimmung des Stiles besteht…“
„Closing quote missing in the originalDer
Tanz ist ein Schlingen und Auflösen, ein dauerndes
Geriesel von Linien. Nur das Ende dieses fortwährenden Verflechtens der Linien wird dadurch eine besondere Note
hervorgehoben, bekommt einen mimischen Inhalt, der als das eigentliche Ziel dieses Flechtens erscheint, als der
Hauptblickpunkt, auf den zu und um den herum sich die Linien schlingen. Schwerttanzfiguren und Linienführung der
Windelbahn gehören einem Kunstwillen zu. Sie sind germanisch. Vielleicht kann bei der Weitererforschung des zum
Verständnis der germanischen Jungmannschaft hochwichtigen
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Schwerttanzes die Trojaburg, und besonders die Stolper Windelbahn berücksichtigt werden. Schwerttänze wurden
ja sehr eifrig von den Gesellenvereinigungen in den deutschen Städten gepflegt, wie hier das Windelbahnfest von den
jungen Schuhmachern, übrigens ist auch der von Hamkens erwähnte Morristanz als Mohrentanz häufig von
Handwerksgesellen aufgeführt worden, ich nenne einen Morischkotanz in Nürnberg 1479, einen Mohrentanz in Eger
oder die Aufführung des Mohrentanzes durch die Schneider zu Straßburg 1538. Ferner wird er gemeldet aus
Winterthur, Zürich, Bern, Frankfurt am Main und Danzig (noch 1698). Dieser Mohrentanz ist weiterhin verwandt mit
dem Imster Schemenlaufen und dem Hobby Horse englischer Tänzer zu Weihnachten. Er gehört also in die kultische
Sphäre. Wie stark man später die altertümliche Eigenart des Tanzes in der Windelbahn empfand, dafür
zeugt, daß die Stolper Schuhmacher ihr Fest als Stiftung eines ihnen besonders gewogenen Fürsten Kroy
erklären, ebenso wie man in Kaufbeuren Gustav Adolf von Schweden für den Stifter des Kinderfestes hielt.
Das Stolper Windelbahnfest zeigt mithin, daß selbst in den Kreisen des städtischen Handwerks das altüberlieferte kultische Brauchtum noch lange nachwirkte. Für Stolp aber wäre ein altes Sonnenheiligtum anzunehmen.
Schrifttum: Ernst Krause, Die Trojaburgen Nordeuropas. Glogau 1893. – H. Wiechel in den Mitteilungen des Vereins f. sächs. Volkskunde, Band VI, 1912–1916, S. 97 und 200. – Paul Liebeskind, Trojaburgen in Thüringen. Zeitschrift: Mark Zeitz, 1921, Nr. 25 ff. – Weiteres Schrifttum in meinem Aufsatz Trojäburg – Maigraf – Zunftfest; Mitteldeutsche Bl. f. Volkskunde, 2. Jg. 1927 S. 61–67. – Ferner: E. Schnippel, Ausgewählte Kapitel zur Volkskunde von Ost- und Westpreußen. Bd. 1. Danzig 1921. – Unser Pommerland. Jg. 1925. Stettin. (S. 332.) – Kurt Meschke, Schwerttanz und Schwerttanzspiel im germanischen Kulturkreis. Leipzig und Berlin 1931.
Anmerkung der Schriftleitung: Das Windelbahnfest ist im Jahre 1935 zum ersten Male wieder in den alten Formen begangen worden. Ein ausführlicher Bericht von H. Beyer ist in der Zeitschrift „Volkstum und Heimat“ vom August 1935 veröffentlicht. Pl.Joseph Otto Plassmann