Linien in Schlesien • Trigonometrische Punkte und Höhenzahlen • Licht- und Leuchten-Namen • Linien in Berlin und anderen Teilen Deutschlands • Hinweise zur Forschung • Ergebnis • Ein Preisausschreiben
Meine Untersuchungen hatten sich bis dahin auf beschränkte Gebiete des westlichen Deutschlands, besonders Niedersachsens bezogen. Aber einige Ausblicke in andere Gegenden Deutschlands ergeben, daß die alte Ortung auch auf Gebieten des östlichen Deutschlands noch nachzuweisen ist. Es zeigt sich auch hier, daß die slavischen Einbrüche ins östliche Deutschland, durch die die Beurteilung der alten germanischen Besiedelungsverhältnisse so außerordentlich erschwert worden ist, die Spuren einer Ortung, die der Ortung im westlichen Deutschland völlig gleich gewesen ist, nicht ganz haben verwischen können.
Mit besonderer Freude liest man bei Max Leichsenring [233.1] so manchen unwiderleglichen Bweis für die rein germanische Grundlage der Kultur im Königreich Sachsen, bei deren Beurteilung bisher bis zum Überdruß den nichtgermanischen Völkerschaften die Urheberschaft zugesprochen wurde.
Unter gleichem Gesichtswinkel angesehen, werden auch die überaus bedeutsamen Forschungen Erich Jungs [233.2] über die in die christliche Zeit hineinragenden Zeugnisse von germanischen Göttern und Helden dazu beitragen, aus den gut germanischen Gegenden, auf die sich seine Forschungen hauptsächlich beziehen, die so gern heraufbeschworenen Gespenster fremder Kultureinflüsse zu vertreiben.
Zwischen den Ortschaften Schlesiens mit ihrer gänzlich anderen Anlage, als wir sie im westlichen Deutschland sehen, und mit den slavischen Namen, zeugen die vielen, zum großen Teile alten deutschen Namen von einer Kultur, die von Haus aus germanisch ist. Überall erinnern uns die Haine, aber auch die Wein- und Lichtenberge, die Brand-, Teufels- und Höllenorte und dann die Wacht- und Wartberge (sofern diese letzteren wegen ihrer Lage in den mittelalterlichen und späteren Zuständen keine ausreichende Erklärung finden) an eine vorchristliche germanische Vergangenheit.
Der Umstand, daß meines Wissens weder die Reste von germanischen Lagerburgen vorhanden sind, an die angeknüpft werden könnte, noch auch unverkennbare Thingplatzkirchen, weil zur Zeit der Bekehrung Schlesiens dort ganz andere Bevölkerungs- und Kulturverhältnisse geherrscht haben, konnte die Untersuchung wohl erschweren, aber nicht mehr von ihr zurückhalten, als mir in der Grafschaft Glatz zwei Wachtberge auffielen mit astronomischer Einstellung auf der Nordlinie. Eine Erklärung des Namens dieser Wartberge an diesen Stellen lediglich durch mittelalterliche Bedürfnisse, Vorgänge oder Gepflogenheiten war unerfindlich. Ruinen sind nicht vermerkt. Im übrigen würde ja auch eine spätere Verwendung die Verwendung in der vorhergehenden Zeit keineswegs ausschließen. Nach Beschaffung der Meßtischblätter jener Gegend zeigte sich, um einen Zweifel auszuschließen, auf eben dieser Nordlinie zwischen den beiden anderen Wachtbergen noch ein dritter Wachtberg! Die bisherige Ansicht über die Wachtberge war nicht in Erfahrung zu bringen.
34. | Wachtberg bei Droschlau — 3½ km — Wachberg südöstl. Neudeck — 15 km — Wachtberg bei Grochau — Nordpunkt. |
Auf dem Wachtberge bei Grochau muß die Warte für die zahlreichen „alten Schanzen“ umher, einerlei aus welcher Zeit sie stammen, auf dem T.P. 417,8 gestanden haben. Noch fünf trigonometrische Punkte bezeichnen uns als Zwischenstationen sehr scharf den Weg der Nordsüdlinie bis zu dem mittleren Wachberge ober-{234}halb des „Hains“ am prinzlichen Forst Camenz. (Altes Zisterzienser-Kloster aus dem Jahre 1094.)
Wird die Linie so als richtig angesehen, dann hat der Brandstapel des mittleren Wachberges auf der 125 m südwestlich des T.P. 510,6 gelegenen etwas höheren Kuppe des Berges gestanden (Aw 0,1°). Hier befindet sich, wie mir mitgeteilt ist, eine halbkreisförmige, mit Steinen eingefaßte Wiese und in ihrer Mitte ein grober Block. Dann kommt nach 3½ km der südlichste der drei Wachtberge über Oberhannsdorf, über dessen Sattel, wo die Warte gestanden haben muß, mir interessante Nachrichten zugekommen sind. Die Fortsetzung der Linie geht in auffälliger Weise durch die trigonometrischen Punkte von Rosenbergen und Sauerberg und scheint bis zu dem Wallfahrtsort Maria-Schnee zu reichen. Sie berührt auch den Scheibenbusch des uralten Scheibenhofs bei Kunzendorf.
Vor der Untersuchung dieser Gegend hatte ich bloßen Höhenzahlen und trigonometrischen Punkten keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Aber diese letzte, schon ohnedem durch ihre 3 Wachtberge auf der kurzen Strecke von 19 km überaus einleuchtende Linie bringt, wie wir sahen, außerdem noch 9 trigonometrische Höhenzahlen mit auffälliger Genauigkeit. Sie soll mir deswegen Gelegenheit geben, ein Wort über die den Höhenzahlen zuzumessende Rolle zu sagen, wenn sie auf den Linien auftauchen.
Die Menge der Höhenzahlen auf unsern Karten ist unzählig, jede beliebige Linie berührt ihrer mehrere, manchmal auch viele, so daß ich sie anfangs als Zeugen modernster Kultur grundsätzlich unbeachtet ließ. Aber es war mir doch auffällig, daß sie hier und da geradezu aufdringlich waren, nicht nur bei den Nordlinien, was ich noch allenfalls verstanden hätte, sondern auch bei den Ostlinien. Auf meine Anfrage im Reichsamt für Landesaufnahme wurde mir von den beiden unabhängig voneinander befragten Vermessungsdirigenten die nahezu gleichlautende Antwort zuteil: „Haben trigonometrische Punkte gleiche Länge oder Breite, so ist das der reine Zufall, absichtlich geschieht es nie.“
Daraufhin habe ich solche Erscheinungen nicht mehr grundsätzlich unbeachtet gelassen. Wenn auch wegen ihrer großen Zahl immer erst der Zufall anzunehmen ist, so gibt es doch Lagen genug, die ihre Beachtung erfordern. Bei einigem Nachdenken ist der innere Zusammenhang des modernen Tuns unserer Geometer mit den alten Stätten, um die es sich für uns ausschließlich handelt, wohl einzusehen. Es ist im kleinen dasselbe, was wir schon bei den Aussichtstürmen bedacht haben. Wenn sich der praktische Geometer, der seinen Stein setzt, in keiner Weise um die Herstellung einer Nord- oder Ostlinie kümmert, so ist es ihm doch bequemer, Stellen auszuwählen, die einen gewissen Umblick gewähren und womöglich bequem an einem Wege liegen, anstatt abseits in den Wald zu gehen, oder gar ins Gebüsch zu kriechen. So treffen denn die Geometer beim Ausschauen nach einem geeigneten Punkte ganz unwillkürlich in erster Linie auf die Stellen der alten Mäler, die ja sämtlich auch unter dem Gesichtspunkte der freien Sicht ausgewählt waren, und die sich oft durch die Jahrhunderte hindurch ihre Aussonderung aus dem umgebenden Gelände nebst Zuwegung bewahrt haben. So kann uns manchmal eine Höhenzahl die Stelle des alten Orientierungsmals angeben.
Wachtberge gibt es sonst auch noch mehrere in Schlesien.
35. | Der Wachtberg bei Eichau hat in 3 km Entfernung auf seiner Ostlinie auf der Paßhöhe die „Aspenwiese“ und 2 km weiter eine Klapperkapelle (Aw 0,1°). |
Die Aspenwiese zog noch aus anderen Gründen, deren Besprechung hier zu weit führen würde, meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie erwies sich dann auch als ein {235} Knotenpunkt der Orientierung. Der Gipfel des Wachtberges bei Eichau ist künstlich abgeplattet; eigenartige Löcher erinnern vielleicht an einstige Bauten.
36. | Die Aspenwiese hat nicht nur auf ihrer Westostlinie, sondern auch auf ihrer Nordsüdlinie einen Warthberg, nämlich den Warthberg südlich des Städtchens Wartha, der seine germanische Bedeutung noch handgreiflich durch seine Wallfahrtskapelle zeigt; dann kommt nördlich Wartha die ausgedehnte Anlage der Rosenkranzkapellen, innerhalb deren der T.P. 380,2 als die Stelle eines germanisch georteten Males anzusehen sein dürfte. Ob dann der 7 km südlich der Aspenwiese gelegene Klapperberg auch noch als dieser Linie zugehörig anzusehen ist, wäre zu prüfen; sein T.P. liegt 125 m westlich unserer Linie und weist nichts Bemerkenswertes auf. Aber sein Name deutet vielleicht auf die Hörsignale hin. |
Die westlich dieses Klapperberges gelegene Annakapelle kommt, wie mir scheint, für eine Ostlinie in Betracht. Für eine Orientierung der Annawarte im Forst Doym auf Nordsüd und Ostwest spricht kartenmäßig zwar nur eine Anzahl von T.P., aber ihr Besuch könnte sich um ihres Namens willen vielleicht doch lohnen. Unser Vorhaben erfordert Besuche über Besuche, auch wenn die Mehrzahl aus den bekannten Gründen vergeblich sein muß.
Da alle Orte mit Leuchtnamen unser Interesse erwecken, so möchte ich Lichtenwalde in der Glatzer Grafschaft nicht übergehen. Die Erklärung mit „Lichtung im Walde“ ist so nichtssagend und unwahrscheinlich, daß wir uns mit ihr nur im Notfälle begnügen wollen. Ein Eigenname will individualisieren und unterscheiden. Ein Name, der lediglich einen Begriff zum Ausdruck bringt, der auch ähnlichen Plätzen der Umgebung im gleichen Maße zukommt, ist kein Eigenname. In solchen Fällen ist ein Erklärer stets auf falscher Spur. Sehen wir, ob Lichtenwalde nicht eine andere Bedeutung hat.
37. | Die durch 4 Bildstöcke auf der Karte gekennzeichnete Höhe 640 über dem Forsthause Lichtenwalde, wo wir das weithin leuchtende Feuer in der Germanenzeit anzunehmen haben, hat dem Orte den Namen gegeben! Im Westen ist auf dem Berghange nichts zu bemerken, aber darüber hinweg liegt die Kirche von Stuhlseifen scharf auf der Linie; im Norden müssen auf der großen Gebirgslehne mehrere Zwischenstationen gewesen sein, und zwar schon nach 1 km, da wo die beiden Fußwege an der Gemeindegrenze zusammenlaufen, dann nicht weit von der Mandelfichte und Höhe 681,4 über Eilenburg und Stephansberg; wenn wir dann 4 km nördlicher die Kirche von Neuweistritz auf dieser Linie finden, so könnte hier — wie in Stuhlseifen — auch mal die Lage von schlesischen Kirchen zu einem Fingerzeige werden. In der Ostrichtung ist nichts zu bemerken. |
Ehe wir Schlesien verlassen und auf weitere Leuchtnamen achten, möchte ich auf die Verhältnisse im Breslauer Bezirk hinweisen, über die ich mich nur mit starkem Vorbehalt äußern kann. Daß auf dem Zobten Zobten mit seiner Bergkirche und Quelle ein germanisches Bergheiligtum stand, liegt wohl außer allem Zweifel. Erinnern wir uns daran, daß die alttestamentlich beeinflußte alte christliche Kirche von Haus aus durchaus gegen den Höhendienst eingestellt war, der in Palästina zu den zu bekämpfenden Greueln gehörte. Ob nun die Wilhelmshöhe im Westen, Großburg mit seinem hier durchaus beachtenswerten Kirchplatz im Osten, der Wachtberg bei Cauth im Norden und der Geiersberg im Süden zur Ortung des Zobten gerechnet werden darf, wird von Kundigen [235.1] bestätigt. {236}
Die Lage des Wartberges bei Keulendorf, 28 km westlich der, wie mir scheint, ältesten Siedlungsstätte in Breslau, hat ebenfalls zur Annahme einer Ortungslinie geführt; es wäre auch zu fragen, ob nicht Pohlanwitz und Hochkirch im Norden und Mandelau im Süden dieses Punktes einen Anhalt für eine Nordsüdlinie darbieten. —
Unter den Leuchtnamen ziehen Lichtenrade, Lichtenberg und Lichterfelde bei Berlin die Aufmerksamkeit auf sich.
38. | Der Kirchplatz von St. Nikolai hinter dem Schloß wird als der älteste Siedlungsplatz Berlins angegeben. Bei einem Versuch, ob sich auch in Berlin Ortungserscheinungen zeigen würden, war es mir im hohen Grade auffällig, daß die Nordsüdlinie der Nikolaikirche im Süden auf Lichtenrade trifft; unterwegs wird als Zwischenstation ein kleiner alter Friedhof in Betracht kommen. Die Linie hat nach Norden im Schloß Schönhausen noch einen beachtenswerten Punkt. (Entfernung 7 km, Aw 0,1°.) Daß 2 km weiter die südliche Friedhofskapelle am Rollberge auf der Linie liegt, mag zufällig sein, was durch Einsicht in die Geschichte des Friedhofs klarzustellen wäre. Zu beachten sind ferner die T.P. 59, 60, 56 und die Dammsmühle. Alle Punkte haben kleinste Abweichungswinkel von der Nordlinie der Nikolaikirche, soweit es sich aus der „Karte der Umgebung von Berlin (Landesaufnahme)“ feststellen läßt. — In Lichtenrade dürfte als Stelle des Leuchtmals noch eher die Höhe südlich der Kirche, als die Kirche in Betracht kommen; die Aw sind in beiden Fällen sehr klein (0,05° und 0,25°) bei einer Entfernung von 14 km von St. Nikolai. Jedenfalls haben wir hier eine beachtenswerte Erscheinung. |
39. | Nun aber wird unsere Aufmerksamkeit verdoppelt. Auf der Ostlinie
eben dieser Nikolaikirche liegt Lichtenberg
(Friedhofskapelle), die Kirche Wuhlgarten und die Kirche Fredersdorf!
Die Friedhofskapelle in Lichtenberg steht auf dem Windmühlenberg, auf dem ihr Platz aus irgendeinem Grunde sich besonders empfohlen haben dürfte. Nach Westen wird, wie mir scheint, eine ganze Reihe von Punkten mit öffentlicher Bedeutung, z. T. auch mit interessanten Namen bis hin zur Kirche von Priort berührt; eine Beurteilung derselben muß ich den mit der Berliner Geschichte Vertrauten überlassen. Hierbei darf ich empfehlen, auch die beliebtesten und altgewohnten Erklärungen erneut unter die Lupe zu nehmen, ob sie auch ausreichend haltbar sind. Man wolle niemals die Erwägung vergessen, daß auch schon in der vorchristlichen Zeit in der Mark Menschen gewohnt haben, die sprechen konnten, religiöse Bedürfnisse hatten und allerlei ausgerichtet haben. Sollten davon nicht noch manche Namen Zeugnis ablegen können? |
40. | Auch der behauptete Zusammenhang des Namens Lichterfelde mit einer belgischen Stadt Lichtervelde (infolge flämischer Einwanderung) und des belgischen Namens seinerseits mit den Leichterschiffen bedarf der Nachprüfung. Jedenfalls ist nichts an der Tatsache zu ändern, daß der Hauptplatz von Lichterfelde (Kirche) auf derselben Nordsüdlinie zu finden ist, wie der Kirchplatz der uralten Siedlung in Hermsdorf und der alte Friedhof in Charlottenburg. |
Die Karte der Umgebung von Berlin stellt noch eine große Fülle interessanter Ortungserscheinungen in Aussicht, wobei Potsdam, Römerschanze, Babelsberg und eine ganze Anzahl von Aussichtstürmen nicht unbeachtet bleiben dürfen. Soweit ich jetzt sehe, ist die Umgebung von Berlin auch in der Zeit, als die Ortung begann, der Schauplatz einer mit der westgermanischen Kultur eng verwachsenen Kultur gewesen.
Ich führe einige Beispiele aus ändern Gegenden an, auf die ich
gestoßen bin, wenn mir zufällig das Kartenmaterial zur Hand kam.
Herkules-
Denkmal
41. | Wilhelmshöhe-Herkules — 1¾ km — Aw 0,05° Auss.T. Elfbuchen ½ m — Hühnerberg — 3¾ km — Aw 0,05° Kirche Weimar — Nordpunkt. {237} |
42. | Kirche Westerkappeln — 2 km — Aw 0,05° Gabelin (Judenfriedhof) — 2½ km — Kirche Wersen — 26½ km — Aw 0,05° Auss.T. Sonnenbrink (südwestlich Bad Essen). Wie auch die vorhergehende ist dies eine im hohen Grade beachtenswerte Linie. |
43. | Lichtenscheid (Birken) bei Barmen — 5 km — Auss.T. Kiesberg — 8 km — Wilhelmshöhe — Westpunkt. |
44. | Auss.T. Königshöhe bei Elberfeld — 1 km Auss.T. Kiesberg — 1 km — Aw 1,0° Auss.T. Nützenberg — 4 km — Alte Kirche Langenberg (Rheinland) — Nordpunkt. |
45. | Kirche Beienburg a. d. Wupper — 4 km — Aw 0,05° Kirche Schwelm — Nordpunkt, Kirche Schwelm — 6 km — Friedh. Klingelholl, Barmen — Westpunkt. |
Auch die Wartburg bei Eisenach hat Verhältnisse, die der Nachforschung wert sind.
46. | Osnabrück, Dom (Denkmal) — 13½ km — Aw 0,05° — Thieplatz Iburg — Südpunkt. |
Ich war schwankend, ob ich die Iburg oder die Kirche des Städtchens als Ortungspunkt ansehen müsse, und entschied mich in der ersten Auflage dieses Buches für die Kirche. Bei einem Besuche an Ort und Stelle zeigte sich mir aber zu meiner freudigen Überraschung zwischen der Burg und der Kirche der wunderbar gelegene, noch jetzt „Thieplatz“ benannte Ortungspunkt! Auf der Höhe liegt als eindrucksvolle Vermittlungsstation zwischen Domplatz in Osnabrück und Thieplatz in Iburg die Bardenburg. Unter der Iburg befindet sich die „Rennbahn“.
Noch ein mir persönlich wertvolles Beispiel, weil es meine Heimat betrifft.
47. | In tiefster Einsamkeit des Schaumburger Waldes, nordöstlich
vom Jagdschloß Baum, wohin sich niemand als der Förster und seine
Holzhauer verlieren, bemerkte ich auf der Karte ein Kreuzchen; einige
Kilometer ostwärts in erhöhter Lage südlich Meerbeck
zeigt sich ein gleiches Kreuzchen.
Abb. 76
Hier steht jetzt noch ein mir
bekanntes grobes, aus Stein gehauenes Kreuz an der Straße nach Hobbensen.
Die Gegend ist ganz und gar evangelisch; da sind solche Kreuze selten und
auffällig. Man pflegt sie „Mordkreuze“ oder
„Sühnekreuze“ zu nennen. Der Volksmund erzählt sich,
daß an der Stelle ein Jude erschlagen sei. Aber der Acker, der sich hier
anschließt, heißt bis zum heutigen Tage „Tiestëe“ =
Thingstelle. Dann findet man 10 km westwärts des Waldkreuzes den Namen
„Thoren“ einer Häusergruppe bei Totenhausen auf dem linken
Weserufer, der wir bereits als einer Station auf der Mindener Domlinie begegnet
sind. Der Kartograph hätte den Namen Thoren mit gleichem Recht neben die
Schule setzen können, aber auf einen Meßpunkt müssen wir
in solchen Fällen sowieso verzichten. Vom Tiestëe-Kreuz ostwärts:
1. der herrschaftliche Schäferhof bei Probsthagen, 2. das auch
von Schuchhardt erwähnte alte „Hünenschloß“
über Beckedorf, 3. die Kirche „Dörener Turm“ bei
Hannover. Vom Meerbecker Kreuz ostwärts steht in gleicher Entfernung (5 km), wie vom Kreuzchen im Schaumburger Walde, südwestlich des Schäferhofs ein gleiches altes Steinkreuz. Es ist jetzt gut aufgerichtet an der Landstraße nach Stadthagen in einem kleinen Wiesenstück neben einem zur Gemeinheit der Stadt gehörigen Ackerfeld (Abb. 69). Von letzterem, wo es bei der Umwandlung in Ackerland unbequem wurde, ist es wahrscheinlich nach dem Wiesenstück, wo es {238} nicht lästig war, versetzt worden, so daß seine ursprüngliche Stelle — wohl an der Abzweigung des Weges bei T.P. 68,1 — nicht mehr genau festzustellen ist. Sein jetziger Platz liegt etwa 300 m südlich der Ostlinie des Hünenschlosses (höchster Punkt), während eine Abweichung der beiden ändern Stellen von dieser Linie kartenmäßig überhaupt nicht mehr feststellbar ist. |
Das Mal im Schaumburger Walde lag am „Hain“holz. Diese Stelle hat sich im Jahre 1830 der Oberforstmeister v. Kaas für sein Grab ausgesucht. Eine gewaltige, auf 500 Jahre geschätzte Eiche, ist jetzt das Wahrzeichen des alten Heiligtums. Sie hat in ihrer Jugend wohl noch das Malkreuz an der zusammenbrechenden heiligen Eiche neben sich gesehen. Eine jetzt als „Hudegrenze“ gedeutete Erdumwallung dürfte zur Erkennung des Umfangs der einstigen Malstatt dienen können.
Auf jeden Fall haben wir in dieser Linie eine so eindrückliche Erscheinung, daß eine Erklärung durch Zufall schwer möglich ist. Die beiden Mordkreuze dieser Linie zeige ich ebenfalls im Bilde. Wer vermag über diese auch in ihrer vorliegenden Ausführung recht auffälligen Kreuze etwas zu dem beizutragen, was Kuhfahl a. a. O. in ausführlicher, eindrücklicher Weise über die Steinkreuze bringt?
Wer davon überzeugt ist, daß jede größere Siedlung unserer religiös veranlagten Vorfahren ihr Ortsheiligtum, ihren Hain nebst Spielplatz und ihre orientierten Bergheiligtümer gehabt hat, der wird nunmehr in seiner Heimat erneute Umschau zu halten gebeten. Vor allem sind die Fragen zu stellen: 1. Wo werden unsere Vorfahren hier ihren Thingplatz gehabt haben? Zu achten ist auf die Gestaltung der Wege, Kirchplatz, Friedhof, Kapelle; Höhenlage; Quelle oder Teich. 2. Geben die Haupthimmelsrichtungen am Horizont oder auf der Linie zum Horizont Anhaltspunkte, daß dort Orientierungsmäler gewesen sein könnten, die dann auch die Richtigkeit der Thingplatzannahme bestätigen würden? Wenn es durch Irrungen hindurch gehen sollte, so wolle man sich des ersten Ediktes von Nanzig erinnern, um deswillen wir nur Aussicht haben, einen winzigen Prozentsatz der alten Stätten wiederzufinden. Aber manchmal kann das Zusammentreffen ganz kleiner Anzeichen zu Verrätern dessen werden, was man aus der Erinnerung austilgen wollte.
Aber die alten Hamelner waren fromme und praktische Leute; sie wollten zur Feier ihres Sommerfestes das Herannahen und den Eintritt der Sommersonnenwende rechtzeitig wissen und hatten da, wo jetzt das Forsthaus „Heisenküche“ steht, und darüber auf dem „Schweineberge“ (Kreuzung der Fußwege Höhe 258) einen festen Anhalt für das Auge vom Thingplatze aus. Sollte der Name Heisenküche etwa aus Hexenküche entstanden, also erst satanisiert dann wieder salonfähig gemacht sein? Daß der Name Schweineberg seinen Grund lediglich in dem Vorkommen von Schwarzwild, welches einst auf allen bewaldeten Bergen zu finden war, haben sollte, oder im besonderen Maße als Weide für die Schweine gedient hat, ist weniger glaubhaft, als der Gedanke an die öffentliche Haltung der heiligen Eber in germanischer Zeit, die im besonderen Maße den Anlaß zur Verächtlichmachung gegeben hat. {239}
Die bisherigen Studien zur Ortungsfrage sind ein Anfangsversuch, der zwar in vielen Einzelheiten dem Irrtum unterworfen ist, sowohl hinsichtlich der grundsätzlichen Auffassung und Erklärungsversuche, als auch hinsichtlich der herangezogenen Orte, der aber doch, wie ich glaube, die Ortungstatsache sichergestellt hat. Das Ergebnis kann wie folgt zusammengefaßt werden:
1. Die Annahme einer allgemeinen Neigung im alten Germanien zur Ortung beruht auf so zahlreichen auffälligen Einzelerscheinungen, daß auch unter Berücksichtigung der zunächst unvermeidlichen Irrtümer eine Erklärung durch zufällige Entstehung der Erscheinungen nicht angeht. Die Anerkennung auch nur einer einzigen Erscheinung als absichtliche Ortung bedingt die Anerkennung der Ortung als solche und ihrer sämtlichen Voraussetzungen, die vor allem in einer astronomischen Betätigung bestehen.
2. Die als eine bedeutsame Volksgewohnheit anzusehende Ortung bestand darin, daß sich die Thingplätze, Lager, Siedlungen usw. am Horizont Merkmale für die wichtigen Himmelsrichtungen verschafft haben, daß diese Merkmale den Charakter religiöser Stätten annahmen und nun selbst wieder Ortungsmale in der gleichen Richtung erhielten.
3. Der Uranfang der Ortung dürfte als Befriedigung eines religiösen Empfindens anzusehen sein. Dazu gesellte sich das praktische Bedürfnis der Zeiteinteilung, besonders seit Beginn des Ackerbaues: und schließlich kam die Ausnutzung des vorhandenen Ortungsnetzes zum Signalwesen im Krieg und Frieden durch Rauch-, Licht- und Hörsignale hinzu.
4. Die Ortungserscheinungen erklären sich am einfachsten, wenn ihr Anfang bereits für die älteste Zeit der Inbesitznahme des Landes angenommen wird, als man sich noch unbeengt einrichten konnte, wie man wollte. Hier ist jedoch der Irrtum zu vermeiden, als ob die ersten Siedlungen, Lager usw. selbst bereits unter dem Gesichtspunkte einer georteten Einstellung aufeinander angelegt seien; vielmehr ist anzunehmen, daß zunächst für diese ältesten Plätze Male geschaffen waren, an die sich dann vielfach die Weiterbesiedelung angelehnt hat.
5. Die Ortung ist in germanischen Landen allgemein, und ihre wichtigsten Grundsätze sind gleichartig und stetig gewesen, so daß auch der Wandel der Zeiten und etwaige Verschiebungen der Völkerschaften einen merkbaren Einfluß nicht ausgeübt haben. Die Zeit ihres Verfalls trat mit dem Zeitalter Karls des Großen ein [239.1].
6. Die Beschaffenheit und Dauerhaftigkeit der Mäler ist eine sehr verschiedene gewesen, je nachdem, ob ein Mal auch als festlicher Versammlungsplatz oder als Kristallisationspunkt einer Ortschaft eine Bedeutung gewonnen hatte, oder nicht. Es konnte ein einfacher, seiner Äste beraubter Baumstamm (truncus) oder ein aufgerichteter Stein sein, mit einer Feuerstelle daneben — bis hin zum feierlich als Brandstapel errichteten Turm oder sonstigen Gebäude. {240}
7. Man hatte ursprünglich wohl nur die religiös wichtigste und grundlegende Nordortung. Dazu kam dann die praktisch noch wertvollere, durch Errichtung der Senkrechten gewonnene Westostlinie, die in der spätgermanischen Zeit für das Osterfest und als wichtigste Kalenderlinie die größere Bedeutung und häufigere praktische Verwertung gehabt haben dürfte. Auch die Zahl der von uns noch auffindbaren Westostlinien scheint größer zu sein, als die der Nordlinien. — Wegen der strengen Scheidung der Kulte für die verschiedenen Gottheiten ist ein Nebeneinander der kultischen Ortungsmäler auch da anzunehmen, wo das Ortungsnetz Knotenpunkte der beiden Linien aufweist.
8. Die hier und da in Erscheinung tretenden Sonnenwend- und Mondwendlinien können wegen der Beschränktheit ihrer astronomischen Geltung nur lokale Bedeutung gehabt haben, im Unterschied von den Nord- und Ostlinien, die auch bei weitester Durchführung astronomisch richtig bleiben.
9. Die astronomisch-geometrische Meßkunst der Alten über Berg und Tal hinweg war eine hochentwickelte, die ohne Schulung gar nicht zu denken ist. Der Durchschnitt der Meßfehler hält sich, wie es scheint, unter ½ Grad und die größten Meßfehler scheinen 1 Grad selten zu übersteigen. Die Annahme einer Astronomenschule im Gutshofe Oesterholz gewinnt durch das Vorhandensein der Ortung und durch den Zusammenhang des Gutshofs mit dem Ortungsnetz eine neue bedeutsame Stütze.
10. In Ansehung der religiösen Veranlagung des Volkes und der vielseitigen Bedeutung und Verwendung georteter Mäler, auch als Andachtsstätten, muß gefolgert werden, daß das ganze Land mit ihnen reich besetzt gewesen ist, bis hin zu kleinen und kleinsten Mälern in den Feldern zur Erfüllung der religiösen Bedürfnisse der Einzelnen und der Sippen.
11. Bei der Vielgestaltigkeit der Religion und der kultischen Gebräuche der Alten ist jedoch anzunehmen, daß nur ein Bruchteil der Kultstätten geortet war, und zwar diejenigen, die entweder einen unmittelbaren Bezug auf den Gestirndienst hatten, oder bei denen ein praktisches Bedürfnis nach Ortung vorlag.
12. In den kleinen Feldheiligtümern sind die Vorgänger der Kreuze, Bildstöcke und Kapellchen der nachfolgenden christlichen Zeit zu erblicken. Entsprechend einer Gepflogenheit der christlichen Kirche sind in der Bekehrungszeit die letzteren genau auf den Stellen der ersteren errichtet und können, sofern sie sich auf der gleichen Stelle erhalten haben, zu Wegweisern für die Erforschung der Orientation dienen. Dazu gesellen sich zahlreiche andere Anhaltspunkte, so daß die Forschung in dieser Richtung als eine aussichtsreiche bezeichnet werden kann.
Zur Klärung der Zufallsfrage war ein Preisausschreiben bestimmt, welches zur Aufstellung von Linien in gleicher Bedeutung und Zahl nach einem beliebigen Ortungssystem aufforderte. Der Termin des Preisausschreibens ist am 31. März 1930 abgelaufen, ohne den Nachweis, daß ein beliebiges Ortungssystem in Wettbewerb treten könnte. Die drei eingesandten Arbeiten haben die Erfüllung der gestellten Aufgabe gar nicht unternommen, sondern noch weitere Beispiele zu einer beabsichtigten Ortung der Alten gebracht. Siehe „Germanien“, Folge 2, Heft 2.
Dies Ergebnis darf nicht unterschätzt werden. Es bedeutet das Scheitern der Bemü-{241}hungen aller, die im Blick auf eine Vergütung der aufgewandten Mühe durch Gewinnung des Preises von Mk. 1000 nachzuweisen gedachten, daß bei Anwendung eines beliebigen Liniensystems eine archäologisch gleichwertige Beispielstafel dargeboten werden könne. Wäre eine solche Bemühung geglückt, dann brauchte auch die von mir gebotene Beispielstafel nicht auf beabsichtigter astronomischer Ortung der Alten zu beruhen, sondern konnte ebenfalls auf die sich ganz von selbst ergebenden Lageverhältnisse der archäologischen Plätze zwischen allen übrigen Plätzen zurückgeführt werden. Damit hätte natürlich die Unzulänglichkeit des Beispielbeweises meines Ortungssatzes als einwandfrei bewiesen angesehen werden können, — wenn das alles durch einen vertrauenswürdigen Schiedsspruch, wie er von der „Berliner Gesellschaft für Geschichte der Naturwissenschaft, Medizin und Technik“ zu erwarten war, festgestellt wäre. Aber die Ortungsfrage selbst wäre auch dadurch nicht abgetan.
Der dargelegte, vom Preisausschreiben vorgeschlagene Weg hat sich bisher als der brauchbarste erwiesen. Ein Versuch, auf rein graphisch-mathematischem Wege zur Klarheit zu gelangen, ist von Vorneherein zur Ergebnislosigkeit verurteilt, wenn die Entscheidung über die archäologischen Qualitäten der Plätze nicht in die Hand Unparteilicher gelegt wird, und wenn die Methode sich nicht in denselben Gedanken und Grenzen hält, wie sie in meiner Beispielstafel innegehalten sind. Schon eine Verdopplung des Genauigkeits-Spielraums muß zu einem ganz unbrauchbarem Vergleichbilde führen.
Das Ergebnis des Preisausschreibens soll auch nicht überschätzt werden. Es liegt auf der Hand, daß bei uferlosem Aufwande von Zeit und Mühe schließlich eine größere Anzahl ähnlicher Erscheinungen auf Grund eines beliebigen Liniensystems zusammengebracht werden kann. Die aufzuwendende Zeit und Mühe aber kann nicht in Paragraphen vorgeschrieben werden. So läßt es sich denn nicht ändern, daß auch hier, wie in so vielen Fällen der nicht in gewohnter Weise bezeugten Altertumsgeschichte, die letzte Entscheidung bei dem einzelnen liegt, der das Gewicht der Gründe und Gegengründe nach seinem Ermessen und Empfinden abzuwägen hat.
Ich hoffe, daß das Gewicht sowohl der aufgewiesenen Beispiele als auch der inneren Notwendigkeitsgründe den Leser zu einer klaren Entscheidung für unseren wichtigen Ortungssatz geführt hat.