Gerichtsstätten und Galgenberge • Zwei lange Linien • Gräber und Thingplätze auf den Linien • Hermann und die Herlingsburg • Veränderung alter Ortsnamen • Datierungsmethoden müssen revidiert werden • Hörsignale
Die Beharrlichkeit der alten Gerichtsstätten, die ihre Eigenschaft über den großen Wandel der Dinge in der karolingischen Zeit hinaus behielten, dürfte allgemein anerkannt sein. Das Volk, dem nahezu alles, was ihm wert war — selbst der Grund und Boden durch die Einführung des Feudalsystems — genommen oder doch umgestaltet war, hat es nicht erdulden brauchen, auch die altgewohnten Stätten des Rechts zu verlieren. Ein erheblicher Teil der Galgenberge wird bis in die germanische Zeit zurückzuführen sein.
30. | Auss. Asse (südöstlich Wolfenbüttel) — 39½ km — Aw 0,4° Bergkapelle bei Kloster Ottbergen — 7½ km — Galgenbergwarte bei Hildesheim — 11½ km — 0,25° Auss.T. Konradisturm — 7½ km — Aw 0,6 ° Kirche Wittenburg — 4½ km — Aw 0,05° Königskanzel über der Barenburg — 18½ km — Aw 0,16° Stiftskirche Fischbeck — 19 km — Aw 0,3° Stöckerberg, Steinhügelgrab T.P. 240,5 — 11¼ km — Aw 0,5° Kirche Valdorf — 20 km — Opferfeld-Engern — 19½ km — Aw 0,65° Auss.T. Beutling (nordwestlich Borgholzhausen) — Westpunkt. |
Diese Linie scheint zu den wenigen großen Signallinien zu gehören, die weithin durchs ganze Land des Sachsenbundes ihre Spuren zeigen. Mir ist es nicht möglich gewesen, die Orientierung in der Hildesheimer Gegend auf einen Zufall zurückzuführen, obgleich auch gerade hier noch einige Überschreitungsstellen von Bergen ganz unaufgeklärt sind. Auch wenn eine solche Erscheinung vereinzelt dastände, bliebe sie ein Rätsel. Ich habe auch den gestörten und sehr lückenhaften Teil dieser Linie von Fischbeck westwärts hinzugefügt, weil ich von einem seine Wahrscheinlichkeit stützen-{224}den Vorgange berichten kann, durch den sich meine Theorie zum ersten Male als Mittel zur Auffindung von Unbekannten bewährte. Auf dieser Strecke war eine Stelle, die wegen ihrer Höhenlage unbedingt einen Brandstapel getragen haben muß. Er muß auf einer von den beiden gleich hohen Punkten desselben Rückens, des Wirksberges oder der Höhe 240,5 des Stöckerberges, gestanden haben. Ich richtete an einen jungen, in der Nähe wohnenden Archäologen, Herrn Meier-Böke [224.a], die Bitte, an diesen beiden Punkten nachzusehen, ob sich auf der genau bezeichneten Ost-Westlinie noch etwas fände. Sein mir darüber erstatteter Bericht lautet: „Und nun das Überraschende: 60 m genau westlich von Höhe 240,5 vom TP-Stein, der neben dem hessisch-lippischen Grenzstein (1669, Jahreszahl) steht, erhebt sich ein Steinhügel unter der Linie. Leider ist er zu 3/5 abgefahren. Bauern oder sonstwer haben ihn als Steinbruch benutzt; er ist ein reines Steinhügelgrab, höher als die beiden um und an 253,6. Etwa 11/3 m hoch im erhaltenen Höchstpunkt. Durchmesser = etwa 14–15 m. Eine enorme Sammlerleistung des frühen Bronzealters. Der Kompaß sowohl als auch das × auf dem T.P. zeigten gute Orientierung, etwas vielleicht nach S von O–W abweichend.“
Ich besuchte dann die Stelle mit dem Finder und mit Schulrat Schwanold, der die Ansicht Meier-Bökens bestätigte. Die Bedeutung derartiger Gräberfunde an den Stellen unserer Linien, wo heilige Warten gewesen sein müssen, zeigt uns die folgende Linie, deren sämtliche Punkte ich nennen will, auch wenn bei einzelnen nichts weiter zu sagen ist, als daß sie eben auf der Linie liegen.
31. | Marienfeld Kirche (nordwestlich Gütersloh) — 8 km — Isselhorst Kirche — 12 km — Kraksauch buchstabiert als Kracks Kirche — 4½ km — Hünengräberhügel am Bartelskrug — 3½ km — Aw 0,4° Hünenkirche im Tönsberglager — 1½ km — Ückenpohl — 1½ km — Aw 0,1° Kirche Stapelage — Hiddentrup — 3 km — Friedh. Pivitsheide — 2 km — Schwarzen Brink (Hünengrab) — 8 km — Hohenwart bei Detmold — 3½ km Niederschönhagen — 1 km Flötpfeife 207,2 — 2 km Mossenberger Himmel — 2½ km Friedh. Istrup — 3 km „Altblomberg“ — 5½ km Gr. Heimberg — 1½ km — Aw 0,05° Heerlingsburg, T.P. 334,6 im Lager. — Ostpunkt. — Gesamtstrecke 63 km — Aw zwischen Hünenkirche und Herlingsburg 0,05°. |
Die Nordlinie von Isselhorst war uns bereits in unserm Beispiel Nr. 8 bekannt geworden. Hier haben wir eine der Ostlinien, die zu den weit durchgeführten zu rechnen ist und sich zweifellos durch sehr zahlreiche bemerkenswerte Zwischenstationn auszeichnet. Sie allein würde reichlichen Stoff zu einem Sonderaufsatz bieten. Auf einige Gedanken, zu denen sie Anregung gibt, möchte ich hier eingehen.
Die Herlingsburg mit ihrer in hiesiger Gegend auffälligen Berggestaltung bringe ich in Abb. 74, nach einer älteren Zeichnung. Abb. 74 Die Burg spielt nicht nur in der Überlieferung als Wohnsitz Hermanns des Cheruskers eine Rolle und Wasserbach hält sie für den Ort, wo ein Standbild des Befreiers Germaniens gestanden habe. Daß er das übrigens nicht schlecht bezeugte Standbild mit der Irminsul — der Weltsäule, die Alles trägt — verwechselt, ist wegen des Namens und wegen des über diesen Dingen lagernden Dunkels verständlich. Auch durch die Tatsache, daß Karl dieser Gegend seine besondere Aufmerksamkeit widmete und 784 mehrere Monate in Lügde verbracht hat, läßt die Vermutung fast zur Gewißheit werden, daß Lügde mit der Herlingsburg die Hauptstadt des einstigen Cheruskergaus gewesen ist, wie Teuderi-Paderborn einst {225} wie auch später die Bundeshauptstadt war. Ich schließe mich der Ansicht Schuchhardts an, daß die Germanenfürsten überhaupt nicht auf diesen Burgbergen gewohnt haben, sondern auf den zugehörigen großen Herrschaftshöfen, in diesem Falle wahrscheinlich der Domäne in Schieder. Hier mag Hermann sein Allod gehabt haben.
Auch die bereits beim Köterberg-Beispiel Nr. 5 besprochene Eigenschaft der Herlingsburg als Dreiländerecke schließt aus, daß sie jemals, solange solche Eigentumsverhältnisse obwalteten, eine Wohnburg gewesen ist. Die Grenzgestaltung wolle man sich auf unserem Kartenbildchen Seite 215 einmal genau ansehen. Der Grund, warum der Pyrmonter Gau sich diesen wirtschaftlich unbrauchbaren und lästigen, militärisch aber vollends sinnlosen Gebietsschlauch mit dem Schluchtwege bis heran an den höchsten Punkt vorbehalten haben, kann nur ein idealer gewesen sein. Die heilige Ortungslinie Herlingsburg — Hünenkirche (deren Lage auf dem langgestreckten Tönsberge nach der Herlingsburg bestimmt ist) bestätigt uns die kultische Bedeutung der Herlingsburg, wie wir sie bei der Teutoburg, dem Köterberge usw. gefunden haben. An die Herlingsburg schließt sich ein „Spielberg“ an. Daß auch diese Burg zugleich als Sammelplatz für die kriegerische Mannschaft, als Festung in kriegerischer Notlage und wahrscheinlich noch für andere öffentliche Aufgaben der drei Gaue dienlich gewesen ist — davon zeugen die aufgefundenen Spuren von allerlei Wohngelegenheit —, das ist bei der einstigen {226} engen Verbindung des religiösen und sonstigen öffentlichen Lebens eine selbstverständliche Sache. Weiteren Gedanken nachzugehen, ob dieser Berg ähnlich wie manche von Willy Pastor dargebotene Beispiele (etwa die Walburg bei Obergänserndorf in Österreich) hergerichtet gewesen sei, mag der Zukunft aufbehalten bleiben.
Die Höhenlage der beiden Hauptpunkte, der Hünenkirche und der Herlingsburg ist 332,0 und 334,2, also nahezu die gleiche. Da die zwischenliegenden Erhebungen diese Höhe nicht erreichen, war bei gutem Wetter zwischen den beiden großen Lagern eine direkte Verständigung durch Feuerzeichen über die 34 km lange Strecke möglich. Aber für den Fall weniger klarer Luft mußten Zwischenstationen da sein. (Die Höhenangabe auf Abb. 71, ist ein Druckfehler des Meßtischblattes.)
Wenn nun eine Linie, wie die vorliegende, über dieses Bedürfnis hinaus eine ganze Anzahl von Zwischenstätten zeigt, für die unverkennbar absichtlich eine solche Lage unter der Linie gewählt war, so ist daraus wieder die starke, auf religiöser Empfindung beruhende Vorliebe der Alten für diese heiligen Linien und ein starker Zug zu ihnen zu erkennen.
Es ist, als ob die Alten vor der endgültigen Wahl eines ihnen wichtigen Platzes erst einen mit der Praxis der Orientierung vertrauten Priester befragt hätten. Denn auch die Lage dieser Zwischenstationen pflegt, soweit wir es kartenmäßig kontrollieren können, nur um ein geringes von der über sie hinweglaufenden Linie abzuweichen, meist um weniger als 2 mm des Meßtischblattes (= 50 m in der Natur) — sofern ein Meßpunkt sich darbietet. Das ist eine Genauigkeit, die von einem Ungeübten schon bei wenigen Kilometern Entfernung von dem anderen Meßpunkte nicht mehr zu erzielen war. In den meisten Fällen war dazu sogar die Verabredung von Zeichen mit noch einem zweiten Feuerwärter, der sich hinter dem anderen Meßpunkt bemerklich machen konnte, unbedingt erforderlich.
Die Vorliebe, in die heilige Orientierungslinie hereinzurücken, kam nicht nur bei der Anlage von Thingplätzen zur Geltung, sondern spielt manchmal auch bei der Wahl der Begräbnisplätze angesehener Personen eine Rolle. Das zeigt sich bei dieser Tönsberglinie an zwei Stellen, wie ich es auch sonst beobachtet habe. Am Bartelskrug ist noch in neuester Zeit mit Erfolg gegraben. Auf dem Schwarzenbrink weist sowohl die Tappesche Gräberkarte aus dem Jahre 1820 als auch das Meßtischblatt Hünengräber auf. Ich fand oben auf dem Hügel, auf dem das Mal gestanden haben wird, ein sonst unerklärliches Loch, bei dem man wieder an eine herausgerissene Grundmauer denken kann.
Die christliche Sitte, sich bei der Kirche, oder wenn man vornehm genug war, in der Kirche begraben zu lassen, dürfte eine direkte Fortsetzung einer altgermanischen Vorliebe sein. Auch die Pharaonen in Ägypten usw. suchten ihre letzte Ruhe bei der Gottheit in deren Heiligtum.
Den gleichen Erfolg wie auf dem Stöckerberge bei Langenholzhausen (Beispiel Nr. 30) hatte ich auf dem Saalberge bei Alverdissen (vgl. Beispiel Nr. 3), wo wir auf meine Anweisung nach den Spuren eines vorhanden gewesenen Orientierungsmals suchten. Im Ackerlande, welches sich jetzt auf dem Berge befindet, war nichts mehr zu entdecken und der eigentliche Brandstapel, der hier gestanden haben muß, scheint restlos verschwunden zu sein; aber auf der Linie liegend, versteckt im Gehölz, wurde ein {227} teils geschichteter, teils aufgehäufter Steinhügel gefunden, der den Eindruck eines Steinhügelgrabes machte; seine Bedeutung ist noch zu untersuchen.
Nach alledem dürfte es eine irrige Annahme sein, daß die Entwicklung von der Grabstätte zur Kultstätte gegangen sei, eher war es umgekehrt. Aber das wahrscheinlichste ist, daß beides miteinander geboren ist, als sich vor dem Geiste des Menschen eine jenseitige Welt offenbarte. Gräber können unter Umständen die Wegweiser zu den Stellen werden, wo die Kultstätten gewesen sind! Mit der Preisgabe jenes Irrtums gewinnen so wunderbare altgermanische Denkmäler, wie wir sie Glaner Braut z. B. in der Glaner und Visbecker Braut und dem Visbecker Bräutigam vor uns haben, ihre volle hohe Bedeutung. Wir lernen sie als das ansehen, was sie in Wirklichkeit waren, als gewaltig umhegte Malstätten, die schon um der Opfer und um der Gerichtsbarkeit willen als religiöse Kultstätten geheiligt waren; eben darum finden sich in und bei ihnen auch die Gräber! So gewinnen meine Ausführungen über das Hügelheiligtum in der Oesterholzer Mark auch durch die beim Studium der Ortungserscheinungen gemachten Erfahrungen ihre Bestätigung. Die Stonehenge-Frage und alle ähnlichen Fragen sollten unter diesem Gesichtspunkte betrachtet und beantwortet werden. Wir müssen lernen wieder mehr daran zu denken, daß unsere Vorfahren in erster Linie gelebt, gewaltet und gewirkt, geglaubt, geopfert und gebetet haben und dann erst gestorben sind. (Vgl. Prof. Hahne, Totenehre.)
Die rollenden Jahrhunderte, dazu die unerhörte Ungunst nahezu aller in Betracht kommenden Verhältnisse, darunter in erster Linie der Wille derer, die in der Vernichtung der germanischen Kultur die Vorbedingung für eine gründliche Romanisierung und Christianisierung sahen, haben uns zur Erkundung unserer germanischen Vergangenheit freilich fast nichts Greifbares hinterlassen, als nur Gräber und immer wieder Gräber und kümmerliche Reste von Wallburgen und Siedlungen. Kümmerlich sind diese letzteren, weil wir in dem, was wir finden, im allgemeinen nur die Siedlungen der unfreien und kleinen Leute zu sehen haben, während die stattlichen Wohnstätten des eigentlichen freien Volks — wie bereits oben besprochen worden ist — von den folgenden Geschlechtern überbaut wurden und darum für uns nichts mehr zu bieten haben.
So kommt es, daß es ein großes Erstaunen auslöst, wenn einmal ein Zufallsfund uns die Augen öffnet und den wirklichen Kulturzustand der Alten zeigt.
Auf unserer Tönsberglinie taucht mit großer Bestimmtheit der auch in hiesiger Gegend in Vergessenheit geratene Mossenberger Himmel auf. Nur bei den nächsten Anwohnern ist die Stätte noch Gegenstand der Sage. Vorstellungen von Himmel und Hölle (Hölle nur als Unterwelt, nicht als Strafort gedacht) waren, wenn auch in mannigfacher Abwandlung, Gemeingut der alten Völker.
Ich habe die Stätte besucht und glaube, daß sie ihren Eindruck auf niemand verfehlen wird, der versucht hat, sich in die Gedankenwelt der Alten einzuleben. Mit erheblicher Arbeit hat man hier ein kleines Tal horizontal etwa 40 m breit und 150 m lang aus dem Berge herausgearbeitet, den Lauf der Quelle ausweitend. Diese sprudelt am Ende des hochumrandeten, gebüschumwachsenen Tälchens und ist dort zu einem Teich erweitert. Die horizontale Fläche am Berghange wird von dem jetzigen Besitzer trotz der dumpfen Lage als Acker ausgenutzt. {228}
Das war also eine der Stellen, wo sich unsere Vorfahren den Eingang der Seelen ins Jenseits symbolisch vorstellten! Ob die übrigen drei bis vier ähnlich benannten Stellen in hiesiger Gegend auch noch einen solchen Eindruck machen, wie der Mossenberger Himmel, will ich noch in Erfahrung zu bringen suchen. Die heilige Ortungslinie läuft über den oberen Teil des Mossenberger Himmels. Ähnliche Stätten mit ähnlichen Namen sind in ganz Germanien zu finden.
Preuß, der sich im Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts durch Sammlung der lippischen Flurnamen ein großes Verdienst erworben hat, war umgeben von der materialistisch bestimmten Geistesrichtung der Wissenschaft seiner Zeit. Auch er hat von einem germanischen Geistesleben in der vorchristlichen Zeit, welches mit den Ortsnamen der hiesigen Gegend einen Zusammenhang gehabt haben könnte, nichts, aber auch gar nichts gewußt. Da es nun jedoch tatsächlich hier von solchen Zusammenhängen wimmelt, ist es erstaunlich und manchmal ergötzlich zu lesen, wie man damals die Anerkennung solcher Zusammenhänge zu vermeiden suchte. Zu den Namen mit Himmel weiß P. nichts anderes zu bemerken als: „bei einzelnen dieser Namen ist vielleicht die Annahme einer Umdeutung aus ,Himbeere‘ gestattet“!
Dies Mossenberg hieß noch 1488 „tom Ossenberge“. Selbst P. sieht sich hier zu dem Zugeständnis gezwungen, daß er den Familiennamen Osing, von dem er den Bergnamen ableitet, mit ans, as os = deus zusammenbringt. Es gibt in hiesiger Gegend auch noch einen Asenberg, ein Asemissen und Assemissen, ein Teil vom Teutoburger Waldgebirge heißt „Osning“ = Asenegge. Zum „Ösenberge“ mit der gleichen etymologischen Bedeutung meint P.: „Wohl von seiner ,oesenförmigen‘ Gestalt!“ Erstaunlich! Das dürfte der Gipfel krampfhafter, unmöglicher Hohldeutungen sein.
Man möchte fragen: glaubte man denn, daß unsere Vorfahren stumme Hunde gewesen seien, die ihren Bergen und Stätten keinen Namen gegeben haben? oder daß das Volk mit der Einführung des Christentums plötzlich alle seine altgewohnten Ortsbenennungen über Bord geworfen und sie durch neue ersetzt hätte? Das ist einfach unmöglich, obgleich damals von den Priestern und Mönchen alles geschehen ist, was an Verstümmelung und Austilgung der auf den Götterkult zurückführenden Namen geleistet werden konnte. Das lag in der Methode begründet, mit der von Karl dem Großen ab das Christentum in Germanien eingeführt wurde. Unermüdlich müssen und wollen wir von ihr reden. In schroffem Gegensätze zu dem ursprünglichen Geist und der Lehre Jesu Christi war die damalige römische Kirche in allen den Stücken, die ihr zur Stärkung und Ausbreitung ihrer Macht nützlich erschienen, zu der Anschauungsweise des Alten Testaments zurückgekehrt. Bei der Unterwerfung Germaniens unter die Kirche war man bis auf den Buchstaben gehorsam einer Anordnung und deckte sich mit ihr, die 5. Mose 12, 2 und 3 geschrieben steht:
„Zerstört alle Orte, da die Heiden ihren Göttern gedient haben, sei es auf hohen Bergen, auf Hügeln oder unter Bäumen: und reißt um ihre Altäre und zerbrecht ihre Säulen und verbrennt mit Feuer ihre Haine und die Bilder ihrer Götter tut ab und vertilgt ihren Namen aus demselben Ort.“
Ja, so steht’s geschrieben: Es sollten auch die Namen ausgetilgt werden! Massenweise werden da, wo man Kirchen, Klöster und Kapellen auf die alten Heiligtümer {229} gesetzt hatte, die bisherigen Ortsnamen verdrängt sein! An ihre Stelle traten mit Vorliebe die auf Heilige bezüglichen Namen. Wo es aber nicht anging, den Orten ein christliches Gepräge zu geben, und wo auch die bereits oben erwähnte Satanisierung nicht gelang oder nicht angängig war, da suchte man mit der Zeit die Namen oder ihren Sinn zu verändern. Es ist zu verwundern, daß doch noch so viele Namen übriggeblieben sind, in denen wir Beziehungen zu der germanischen Vergangenheit wieder erkennen können.
Wenn die beibehaltenen alten Namen, deren kultische Bedeutung allmählich in Vergessenheit versunken war, von den Schriftkundigen anders geschrieben oder sonstwie geändert wurden, dann hat das Volk nach und nach angefangen zu glauben, daß die gelehrten Leute es wohl besser wissen müßten und mit ihrer Schreibweise recht hätten, und daß es selbst mit seiner gewohnten Sprechweise unrecht hätte. Wie es z. B. einem „Hühnerberg“, der „Hünenberg“ geheißen haben wird, ergangen ist, oder dem erwähnten „Köterberge“, so dürfte es noch unzähligen anderen Namen ergangen sein, und das um so mehr, als der bewußte Veränderungswille der ersten Zeit in den späteren Zeiten von der nicht mehr überbietbaren Verständnislosigkeit des Humanismus der Gebildeten abgelöst wurde und unbewußt einen Bundesgenossen erhielt.
Einer aus der neueren Zeit stammenden Unterdrückung eines alten Namens, die wahrscheinlich auf ein Besserwissenwollen wissenschaftlicher Herren zurückzuführen ist, bin ich vor kurzem begegnet, als ich die auf dem Meßtischblatt Rinteln als „Frankenburg“ verzeichneten mächtigen und wohlerhaltenen Grundmauern der Burgruine {230} Todemann besuchte. Als ich den wenige 100 m abseits wohnenden Bauern nach dem Wege zur „Frankenburg“ fragte, sah er mich eine Weile unsicher an und sagte: „Sie meinen wohl die Hünenburg?“ — Das ist Verfälschung der Überlieferung! Ich habe mich geschämt, da ich vielleicht dazu beigetragen habe, den Bauer glauben zu machen, es wäre wirklich eine „Franken“burg, sie hieße auch so, und er müsse sie nun so nennen. Das bedauere ich um so mehr, als ich — oben angelangt und vor diesem prächtigen, sauber ausgegrabenen und nahezu lückenlosen Grundriß stehend — mich an die Ausgrabung der Burg durch den mir wohlbekannten † Sanitätsrat Weiß erinnerte und an die völlig unzureichenden Gründe denken mußte, die diese Burg zu einer Frankenburg umgestempelt hatten — hauptsächlich auf Grund der keramischen und sonstigen Funde, deren Ebenbilder in unsern Museen eben als „fränkisch“ ausgezeichnet sind.
Schuchhardt läßt der Hünenburg ihren guten alten Namen. Großen Wert scheint er auf einen kleinen an der Burgmauer hängenden Raum von noch nicht 15 qm Größe mit einer 1½ m breiten „Apsis“ zu legen. Eine seitlich daranliegende zylindrische Grube erklärt er als piscina sacra (heiliger Fischteich) „für die Abfälle des Altars“, und nennt die Erscheinung eine selten frühe. Wenn dies überhaupt eine christliche Kapelle hat sein können, dann wird sie durch die Annahme, daß sie nachträglich eingebaut wurde, noch am ehesten erklärlich. Auf keinen Fall liefern weder die Funde, noch der Bau als solcher einen Beweis, daß diese Hünenburg nicht schon in vorchristlicher Zeit entstanden ist. Insbesondere muß natürlich der Hinweis auf den Kalkmörtel als Beweis gegen vorkarolingische Entstehung zurückgewiesen werden. Wie lähmend eine solche auf unzutreffenden Voraussetzungen und unsicheren Funddatierungen rein negativ aufgebaute Annahme auf die Erforschung der germanischen Vergangenheit wirken mußte, haben wir bereits in dem Abschnitt über die Kohlstädter Ruine [230.a] besprochen.
Ähnlich steht’s um die auf unserer Linie liegenden „Hünenkirche“ im Tönsberglager. Abb. 75 Der Name ist ihr unbestritten gelassen, aber sie ist mit Kalkmörtel errichtet und soll durchaus als christliche Kapelle entstanden sein, trotzdem ihre Bauart eine solche Annahme ausschließt und man gezwungen war, die Entstehung des Lagers mindestens auf die Grenze der sächsischen und fränkischen Zeit zu setzen. Man sehe sich Abb. 75 an, welche die Altarwand darstellt. Das nachträglich zugemauerte große Türloch ist eine für einen Altarraum völlig unmögliche Erscheinung. Dazu fehlt die notwendige Symmetrie der Choranlage. Auswärts sind Strebepfeiler; aber sie sind nachträglich angeklebt, um das Aussehen einer christlichen Kapelle zu schaffen. Beachtenswert ist der Ansatz eines Gewölbebogens als ein Zeugnis des ordnungsmäßigen, notwendigen Entwicklungsganges, der nach wenigen Jahrhunderten bis zu den Großleistungen der Domgewölbe führte. Vor diesem Raum liegt ein zweiter gleichgroßer Raum — ein für eine christliche Kultstätte nicht erträglicher Grundriß.
Natürlich beruht die Spätdatierung der Hünenkirche wiederum auf einigen Fundstücken. Als ob nicht auf germanischem Boden in einer germanischen Völkerschaft infolge des zwischenvolklichen Ausgleichs der Herstellungskenntnisse oder infolge des Handelsverkehrs in bezug auf manche Gebrauchsgegenstände eine gleiche Entwicklung wie auf gallischem Boden vor sich gegangen sein könne! Und wenn die fränkischen oder merowingischen Formen usw. wiederum römische Einflüsse zeigen, so bleibt die Sache genau dieselbe. Diesem Gedanken steht nichts, aber auch gar nichts ent-{231}gegen, als das von Kossinna so trefflich gegeißelte „Widerstrebender Kulturgeschichte“, dem Matthias Koch zu jenem klassischen Ausdruck verholfen hat (Seite 11) [231.a]. Es gibt für die Archäologen keine dringendere Notwendigkeit, als das Unkraut dieses „Widerstrebens“ bis aus die letzte Wurzelfaser auszurotten und an dessen Stelle eine vertrauenswürdige Objektivität zu setzen. Wenn nicht, dann wird es gar nicht ausbleiben können, daß sich neben unserer Facharchäologie, die bei ihren „merowingischen“ oder „fränkischen“ Scherben bleibt, eine andere Archäologie erhebt, die des „Widerstrebens“ überdrüssig ist und nicht vergessen will, daß es außer den Dingen, die man in der Erde finden kann, auch noch manches andere in der Welt gibt und gegeben hat.
Es mag sein, daß ich deswegen von gewisser Seite übel traktiert werde, aber ich wiederhole: Es ist hohe Zeit, daß die üblichen Datierungsgrundsätze der Archäologie einmal durch ihre Vertreter von anderen Gesichtspunkten aus einer Revision unterzogen werden. Man bescheide sich damit, die Funde vorläufig rein sachlich nach ihrem Wesen, ihren charakteristischen Eigenschaften, ihrer Zusammengehörigkeit zu werten, zu bestimmen, zu ordnen, in Gruppen mit sachlichen, möglichst neutralen Namen zu bringen und zu registrieren — was ja bei einigen Gruppen auch geschehen ist. Vor allem befreie man gerade die Gruppen, deren Datierung für uns am wichtigsten ist (die für die Zeit von Christi Geburt bis ins hohe Mittelalter in Betracht kommen), von voreiligen geschichtlichen Namen! Denn damit sind Präjudizien für die Kulturgeschichte dieser Zeit geschaffen, die auf unhaltbarer, jedenfalls unerhört schmaler Grundlage stehen und auf die Kulturgeschichte einen irreführenden, direkt schädlichen Einfluß ausüben.
Zu meiner Genugtuung ist auch in den „Grundfragen der Urgeschichtsforschung“ von JakobJacob-Friesen eine warnende Stimme in diesem Sinne deutlich zu hören. Ich befinde mich also in guter fachmännischer Gesellschaft.
Und die vorangehenden Zeiten? Für den engen Fachkreis mögen so engbrüstige Namen wie „Latene“ und „Hallstatt“ noch ihren Dienst tun; sollen aber weitere Kreise sich wirklich endgültig mit ihnen abfinden? Man sagt „römisch“; es ist Zeit, germanische Kulturerscheinungen auch „germanisch“ zu nennen.
Gerade in der sprungweise fortschreitenden Archäologie sollte das Einrosten in einem überlebten Gefüge sorgfältig vermieden werden. Zunftmäßige Hemmungen und Bindungen sollten zerrissen werden, wie es Kossinna einst getan hat. Das ist aber schon lange her. Wir möchten gern den folgenden Schritt noch erleben.
Ein höchst ausfälliger Name ist auf der Tönsberglinie noch die „Flötepfeife“ als Bezeichnung eines Geländepunktes, an dem sich jetzt zwei Häuser befinden. Wenn es uns als selbstverständlich erscheint, daß von den für die Feuerzeichen bestimmten Warten zugleich auch Hörsignale für die nahwohnende Bevölkerung ausgegeben wurden, dann ist es keine gewagte Vermutung mehr, daß die Wärter dieser Station einst auch durch Pfeifen ihre Leute zu benachrichtigen pflegten.
Bei der Flötepfeife erinnern wir uns an das Beispiel Nr. 17 mit seiner Sackpfeife. Kein Zweifel, daß allerlei Erklärungen dieses für einen der höchsten Berge (674 m) des Sauerlandes doch recht seltsamen Namens im Schwange gehen. Aber die richtige Erklärung, die mit der alten Bedeutung des Berges als Kult- und Signal-{232} stätte zusammenhängt, wird schon vor vielen Jahrhunderten mit Sorgfalt beseitigt sein. Wir aber denken daran, daß die findigen Signalwärter dieser Stätte, um von dem hohen Berge auch Hörsignale abgeben zu können, zu dem Hilfsmittel des Blasebalgs gegriffen haben, wodurch sie Sirenentöne mit sehr großer Tragweite abgeben konnten. — Über die bisherige Erklärung des Namens Sackpfeife ist auch bei Heßler und Schneider [232.a] nichts in Erfahrung zu bringen.
Dann ist auf die beiden Punkte „Hohenwart“ und „Alt-Blomberg“ aufmerksam zu machen, wo in der Natur jetzt nichts mehr, auch nicht einmal die Löcher der einstigen Male zu finden sind. Aber der Name „Hohenwart“ — jetzt die Bezeichnung für einige Häuser — spricht für sich selber. Was Alt-Blomberg anbelangt, so haben wir unzweifelhaft in diesem alten, jetzt lediglich eine beackerte Bergnase bezeichnenden Flurnamen ein Stück erstarrter Geschichte zu erblicken. Es leuchtet im Blick auf diesen so benannten Platz ein, warum das jetzige Städtchen Blomberg mit seiner Burg im alten Orientierungsnetz keine Stelle hat. Der Umstand, daß in dem Bereich Alt-Blombergs ein Steinbeil gefunden worden ist, dient ebenfalls zur Bestätigung der uralten Besiedelung des Platzes.
Außer den Namen, wodurch die Orte in Verruf gebracht werden sollten, wohin alle Teufels- und Hexenorte gehören, vielleicht auch manche „Lause“berge u. dgl., haben wir die Namen zu beachten, die, wie mir scheint, sich auf die Gestaltung der Male bezogen haben, wie Kruke, Stucken, Pahl u. dgl. sowie, meinen obigen Darlegungen gemäß, Thören, Dören = Turm; weiter die mit den alten Göttern zusammenhängenden Namen Köter, Asen, Donner, Goden oder Guden, Frigg oder Frei. Köterberg kann sprachlich nicht aus Götterberg entstanden sein, aber es ist eine mehrfache absichtliche Umbiegung aus „God“ oder „Wod“ zu vermuten.
Daß die unzähligen Oster-Orte nur zu einem Teile mit der bloßen Himmelsrichtung Osten etwas zu tun haben, zum anderen Teile dagegen entweder mit dem in der letzten germanischen Zeit herrschenden Osterakultus zusammenhängen, oder doch mit den Osterfeuern und Osterfeiern, die als ein Überbleibsel des Osterakultus anzusehen sind, darüber dürfte wohl eine Meinungsverschiedenheit nicht mehr bestehen. Aber diese Osterorte sind so zahlreich, daß sie uns in unserer Orientierungsfrage nur ausnahmsweise nützen können.
Als Beispiele von Linien, die beachtenswerte, sowohl sachlich wichtige Punkte als auch Namen darbieten, möchte ich hier noch zwei aus dem oldenburgischen Lande bringen, wo sich auch sonst dem Archäologen ein überreiches Arbeitsfeld darbietet. Herbeigerufen durch den verdienten, mittlerweile uns durch den Tod entrissenen Bremer Kaufmann Adolf Held, fand ich vor 3 Jahren im „Loh“, 1½ km westlich von Dötlingen, und zwar im Poggenpohlsland nördlich der Goldberge ein großes Feld mit den Trümmern zahlreicher Steinkreise (Trojaburgen), deren Bestand noch der Aufnahme harrt, ehe er als Baumaterial ganz verschwindet.
32. | Wachtberg T.P. 50,0 — 10 km — Aw 0,05° Kirche Dötlingen — Gerichtsstätte — Aschenstedt — 9 km — Aw 0,1° Wunderburg (Ringwälle) — Schule bei dem kirchenlosen Seelte — 11 km — Aw 0,2° Kirche Barrien — Ostpunkt. |
33. | Kirche Goldenstedt, Osterhorn — 16 km — Hünenburg (Ringwälle) südöstlich Twistringen — Wehrenberg — Klageholz — Lichtenberg — Friedh. Bücken — Horst zwischen Altenburg und Donnerhorst — Klotzeburg — zusammen 50 km — Aw 0,3° Kirche Kirchwalingen — 6½ km — Aw 0,15° Kirche Bierde — Karlsberg — Ostpunkt. {233} |