Zerstörung germanischer Kultstätte • Linien in den Himmelsrichtungen • Entstehung von Kultstätten • Kultfeuer später als Signale genutzt • Kirchen usw. auf alten Kultstätten
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Ein stets wiederholter Zufall negiert sich selbst.
Bastian
In den Mittelmeerländern gab’s im Altertum eine Ortung (Orientierung) von Grundstücken und heiligen Bauten. Das Nachvorhandensein solcher Bauten oder deren Trümmer gab die Möglichkeit wissenschaftlicher Untersuchungen, wie sie Prof. Nissen-Bonn im Anfangs dieses Jahrhunderts an 350 Tempeln mit positivem Erfolge angestellt hat [201.1].
Externsteine Aus Germanien sind alle heiligen Bauten der vorchristlichen Zeit, sofern sie überhaupt vorhanden waren, vom Erdboden verschwunden, wovon vielleicht das Sazellum der Externsteine die einzige Ausnahme bildet. Aus der Tiefe gräbt jetzt Dr. Löschke in Trier die Trümmer heiliger Bauten, deren Bedeutung wir noch nicht überblicken.
Prächtige Tempel im antiken Sinne wird man schwerlich gehabt haben, weil man der Gottheit lieber im Haine und auf Bergeshöhen diente. Soweit das Bedürfnis dennoch überdachte Räume zu heiligen Zwecken forderte, waren es im allgemeinen Holzbauten, die auch ohne ihre Zerstörung zur Zeit der Einführung des Christentums nur wenige Jahrhunderte hätten überdauern können.
Aber man hat hin und her im Lande zahlreiche andere aus Stein errichtete, dem Dienst der Gottheit geweihte Mäler und Türme gehabt, die ebenfalls verschwunden sind. Ihr Dasein sowohl, als auch ihre völlige Vernichtung erhellt mit erschütternder Deutlichkeit aus einem kaum bekannten Beschluß einer Kirchenversammlung von NanzigNantes (nicht Nancy), welcher das Kapitulare Karls des Großen vom Jahre 789 zu Aachen bestätigte und noch verschärfte. Ich entnehme den Beschluß einer Schrift des bischöflichen Konsistorialrats K-K. Prof. Franz Widlak-Znaim [201.2], einer gewiß unverfänglichen Quelle, und stelle ihn wörtlich an die Spitze, weil die Erinnerung daran meine Ausführungen vom Anfang bis zum Ende begleiten muß. Es ist der 20. Kanon dieser offenbar sehr fruchtbaren Kirchenversammlung, dem die bereits vollzogene Zerstörung der Mäler noch nicht genug war. Er lautet:
„Lapides quoque, quos in ruinosis locis et silvestribus daemonum ludificationibus decepti venerantur, ubi et vota vovent et deferunt, funditus effodiantur atque in tali loco proiciantur, ubi nunquam a cultoribus suis inveniri possint. Omnibusque interdicatur, ut nullus votum faciat ant candelem ant aliquit nummusaut candelam vel aliquod munus pro salute sua rogaturus alibi deferat, nisi ad ecclesiam vel Domino Deo suo.“
Zu deutsch:
Auch die Steine, die das durch Dämonenblendwerk getäuschte Volk an den Trümmerstätten in den Wäldern verehrt, wo es auch Gelübde ablegt und erfüllt, sollen von Grund aus ausgegraben und an einen solchen Ort geworfen werden, wo sie von ihren Verehrern niemals aufgefunden werden können. Es soll allen verboten werden, daß niemand in der Sorge um sein Seelenheil ein Gelübde ablege oder ein Licht oder eine Opfergabe anderswohin bringe, als zur Kirche und zu seinem Herrn und Gott. {202}
Wer zweifelt angesichts der Macht Roms und des Fanatismus jener Zeiten, in den das Volk selbst nach und nach hereingezogen wurde, daran, daß der Beschluß wortgetreu ausgeführt worden ist?
Eine Ausnahme scheint mit den Steinkreuzen (Sühnekreuzen, Martern, Abb. 69) gemacht zu sein, von denen sich noch eine große Zahl auf germanischem Boden findet. Abb. 69 Sie verdanken ihre Rettung jedenfalls ihrer Kreuzform, die als geeignet angesehen wurde, die germanische Sitte in eine christliche Sitte umzubiegen. Das ist schon durch Papst Leo III. 779 geschehen, als er die Aufforderung erließ, an Wegkreuzungen, wo man sich zu begegnen pflegt, Wegkreuze zu errichten [202.1]. Das wollte jedoch wegen ihrer unheimlichen Urbedeutung und auch wohl wegen der nicht ganz zutreffenden Form nicht ganz glücken. Auch der spätere Versuch, sie zu Sühnekreuzen zu machen und dann entsprechend auch neue Sühnekreuze zu errichten, schlug nicht durch, so daß Dr. Kuhfahl in seiner wertvollen Arbeit über „Die alten Steinkreuze in Sachsen“ zu dem Gesamturteil kommt: „Angesichts der weitzerstreuten Steinkreuzfunde, die ich aus mitteleuropäischem Boden zwischen den Vogesen und dem westlichen Kaukasus, zwischen der oberitalienischen Ebene und den nordischen Gestaden nach Tausenden verzeichnen konnte, steht man also noch heute vor einem Rätsel“. Wir werden es als eine unzweifelhafte Tatsache anzusehen haben, daß die Mehrzahl der alten Steinkreuze germanischen Ursprungs sind und mit dem alten Glauben zusammenhängen. Die sich auf ihnen vielfach findenden Zeichen dürften noch manche Aufklärung bringen können. In unserem letztenVielmehr im vorletzten Beispiel, Nr. 47 Ortungsbeispiel werden wir einem Steinkreuze begegnen, welches die Vermutung verstärkt, daß die Thingstätten solche Kreuze als „Malzeichen“ hatten.
Wenn man es in Nanzig für nötig hielt obigen Beschluß hinsichtlich der in den Wäldern errichteten heiligen Steinbauten zu fassen, um wieviel mehr sind wir gezwungen anzunehmen, daß in den Ortschaften etwaige Tempel und sonstige heilige Bauten, sei es aus Stein oder Holz, ausnahmslos mit einer nicht mehr überbietbaren Gründlichkeit zerstört worden sind. Eine ähnliche, die Mittelmeerländer betreffende kirchliche Anordnung ist nicht bekannt, und wenn sie erlassen wurde, ist sie jedenfalls nicht durchgeführt, wie die tatsächlich noch vorhandenen Tempelruinen zeigen; wohl deswegen nicht, weil die geringere religiöse Beharrlichkeit der Mittelmeervölker eine solche Maßregel als unnötig erscheinen ließ. In Germanien aber blieb’s nicht nur bei der äußerlichen Vernichtung der Tempel, sondern es kam noch hinzu, daß über solche und ähnliche Geschehnisse nach aller Möglichkeit — und auch mit gutem Erfolge — der Schleier der Vergessenheit gebreitet wurde. So muß man sich z. B. aus den Lebensbeschreibungen Karls des Großen mit einiger Mühe die kurzen Erwähnungen der Zerstörungstaten heraussuchen, wie ja auch das Blutbad von Verden mit wenigen Zeilen abgetan wird.
Aus der Unkenntnis oder Nichtbeachtung des tiefgreifenden Vorgangs der Bautenzerstörung in der Bekehrungszeit konnte im deutschen Volke der verhängnisvolle Irrtum entstehen, daß aus einem völligen Fehlen von Baudenkmälern oder ihren Resten ein Schluß auf die Tiefe der germanischen Baukunst und damit auch der ganzen Kultur jener Zeit gezogen werden dürfe und müsse. {203}
Über das Vorhandensein einer astronomischen Ortung im vorchristlichen Germanien
habe ich irgendwelche Erörterungen in unserer Literatur nicht
Steinkreise
(Odry, Polen)
ausfindig machen können, außer daß Ingenieur Stephan
Halle a. S. die Festlegung des Sonnenortes zur Sommerwende in
Stonehenge und die Festlegung von Sternörtern in der Steinsetzung
der Tucheler Heide [203.a] behandelt.
Auf Stephans Arbeit in den Mannusheften mache ich hier
besonders aufmerksam. Neuerdings sind die Erörterungen über
„Mecklenburgs ‘Steintanz’“ von Werner Timm u. a.
hinzugekommen [203.b].
General Schradin-Ulm macht in einer Handschrift auf eine von ihm
beobachtete Orientierung in Lothringen und Süddeutschland aufmerksam. In
der Zeitschrift „Das Weltall“ [203.1] bringt Prof. Dittrich eine
inhaltreiche Zusammenstellung von Nachrichten und Gedanken über
astronomische Neigungen im allgemeinen und über die Ortung und ihre
Wahrscheinlichkeit im besonderen.
Ferner hatte die von alters her geübte Ortung der Längsachse der christlichen Kirchenbauten auf der Westostlinie hier und da zu der berechtigten Frage geführt, ob sie nicht wie ungezählte andere christliche Sitten auf einen in Germanien üblichen Brauch zurückzuführen sei, da ja die Hinwendung nach den heiligen Stätten in Palästina in den germanischen Ländern eine südöstliche und nicht eine östliche Richtung erfordert haben würde. Die Oststellung als solche hat wohl im germanischen Gestirndienst, nicht aber in der christlichen Religion eine Begründung.
Mein durch die Beobachtungen an den Externsteinen und an Oesterholz angeregtes Suchen nach etwa noch vorhandenen Spuren und Anzeichen einer Ortung in Germanien ist von positivem Erfolge begleitet gewesen. Sie führten zu dem Satze:
Es ist in weiten Teilen Germaniens der auf astronomischer Beobachtung beruhende Brauch einer Nord- und Osteinstellung heiliger Bauten und anderer öffentlicher Stätten in ihrem Verhältnis zueinander geübt worden. Auch Einstellungen auf die Örter der Sonnenwende und andere Ortungen sind nachweisbar. {204}
Die noch vorhandene letzte Spur des Brauchs wird uns befähigen, Plätze einstiger Heiligtümer herauszufinden, so daß dann mit den der Archäologie zur Verfügung stehenden Mitteln weitere Forschungen angestellt werden können.
Die Externsteine und Oesterholz lenkten bereits die Aufmerksamkeit darauf, daß die Alten sich in der umgebenden Natur Richtpunkte für ihre astronomischen Linien verschafft hatten. Aber meine weiteren Nachforschungen stießen zunächst nur auf vereinzelte und darum unsicher bleibende Ortungen auf die Sonnen- und Mondwenden.
Hermanns-
Denkmal
Auch die auffällige Tatsache, daß (1) die den Meridian anzeigende
Umgrenzungslinie des Oesterholzer Gutshofs über einen
Bergrücken hinweg die Trümmer der Teutoburg neben dem
Hermannsdenkmal durchschnitt und weiter nördlich erst einen
rätselhaften Turmstumpf auf dem Hiddeser Berge und dann den
Kapellenplatz in Heidenoldendorf traf, konnte nicht genügen, hielt aber die
Aufmerksamkeit wach.
Den Anlaß zu den mühsamen und dann mit überraschendem Ergebnis belohnten Nachforschungen gab ein Besuch des auf unseren Karten noch nicht verzeichneten alten Germanenlagers „Dehmerburg“ am Südhange des Wittekindberges in der Nähe der Porta Westfalica. Ich bemerkte, daß der das Lager überragende Aussichtsturm am „Wilden Schmied“, an dessen Stelle der Luginsland des Lagers gewesen sein wird, nördlich des Hermannsdenkmals steht mit einer Abweichung von der astronomischen Nordlinie von etwa 0,8 bis 1,0 Grad, je nachdem man den Punkt auf der Grotenburg nimmt. Die Entfernung zwischen Teutoburger Wald und den Weserbergen beträgt hier 37 km.
Danach zeigte sich mir (2) auch die durch die Teutoburg gehende Westostlinie (Tag- und Nachtgleiche), im Osten scharf bestimmt wiederum durch einen Aussichtsturm, Kalenberg, der sich über der anerkannt alten Schiederburg (Altschieder) erhebt. Dieses Mal war die Abweichung von der astronomischen Breite so klein, daß sie auch mit einem großen Transporteur von 30 cm Durchmesser kaum noch meßbar ist. Auf der Mitte der 23 km langen Strecke, wo der gegebene Platz für eine Zwischenstation ist, begegnete ich zu meiner Überraschung noch einmal dem Meinberger Aussichtsturm, der schon als Richtpunkt der Externsteiner Mondlinie uns bekannt ist. Westlich der Teutoburg hebt sich auf dieser Linie noch die Kirche von Stukenbrok hervor. Ich stand also vor der merkwürdigen Tatsache, daß sowohl die Nordlinie als auch die Ostlinie der Teutoburg, deren Ortung auf Oesterholz bereits aufgefallen war, auf dem Kamm des Gebirges am Horizont einen durch einen Aussichtsturm sehr stark ausgeprägten Endpunkt hatte, und daß sich beide Male unter dem Aussichtsturm ein altes Lager befand!
Nun können solche Erscheinungen, wie diese beiden Teutoburglinien, wenn sie vereinzelt auftreten, gewiß auch einem merkwürdigen Zufall zugeschrieben werden. Denn jede durch eine Karte gezogene längere Linie trifft ja allerlei Punkte, darunter auch wohl einen oder gar mehrere Punkte, denen eine archäologische Bedeutung zugesprochen werden kann. Aber schließlich hört einmal der Glaube an einen Zufall oder die Möglichkeit eines Zufalls auf, wenn die gleichen Erscheinungen bei unserem System der Nord- und Ostlinie sich häufen, bei einem ändern beliebig gewählten, in gleicher Weise angewendeten System aber seltener auftreten. {205}
Als die Untersuchung nun auch bei einer größeren Zahl der übrigen alten Lager und Burgen Niedersachsens ein mehr oder weniger eindrückliches Ergebnis hatte, da entstand allmählich vor meinem und meiner Mitarbeiter Auge das Bild einer Orientierung der alten Stätten, welches zwar natürlich durchaus lückenhaft und in zahlreichen Einzelheiten verwischt ist, aber doch noch immer überzeugend genug wirkt, obgleich nun seit 1150 Jahren nur zerstörende Kräfte an ihm gearbeitet haben.
Neben die ansehnliche Zahl von Linien, die den beiden oben erwähnten ähnlich sind, trat dann eine sehr große Zahl kurzer, leicht überblickbarer, und darum für viele noch eindrücklicherer Ortungen mit ihrer örtlichen Bedeutung für das Glaubensleben und für den Kalender der Nächstwohnenden.
Nach allem, was wir von dem Glaubensleben und den Sitten der alten Kulturvölker wissen, haben in ihm die Himmelsrichtungen eine bedeutsame Rolle gespielt. Im Deutschen Museum in München befindet sich das Bild: Der ägyptische König und die Weisheitsgöttin errichten im Jahre 1475 vor Chr. Geb. die Fluchtstäbe für die Nordsüdachse bei der Tempelgründung von Amada.
Durch das Vorhandensein der Nord Orientierung, die im alten germanischen Glauben eine tiefe Wurzel hat, während sie für den christlichen Gedanken- und Empfindungskreis überhaupt nicht in Betracht kommen kann, ist jedem Gedanken, daß die Ortungserscheinungen noch in christlicher Zeit entstanden sein könnten, der Boden entzogen. „Nach dem Norden wurde der Wohnsitz des Teufels verlegt, und die Neubekehrten mußten mit gerunzelter Stirn und zorniger Gebärde nordwärts gerichtet dem alten Glauben entsagen [205.1].“ Damit dürfte das Verhältnis der christlichen Kirche einerseits und des germanischen Glaubens andererseits zur Nordrichtung ausreichend gekennzeichnet sein. Dazu kommt, daß unsere Beobachtungen oft gerade die Stätten als Hauptpunkte der Orientierung aufweisen, die mit Kirche und Christentum nichts zu tun haben.
Die Nordrichtung hat auch weiterhin in der Völkerwelt eine in die Lebensgewohnheiten des Volkes eingreifende Bedeutung gehabt. Bis heute hat sich bei den Indiern die Gewohnheit erhalten, zum Schlafen den Körper in die Nordrichtung zu bringen; wenn im Wuppertale jemand nicht schlafen kann, wird ihm wohl der gute Rat gegeben, sich nach Norden zu wenden.
Die Neigung zur Ortung dürfte bis in die Urzeit der erwachenden Religion und Kultur zurückzuführen sein. Praktisch wird man damit begonnen haben, von gewissen Plätzen aus durch Merkzeichen der umgebenden Natur am Horizont die Örter sich einzuprägen und immer sorgfältiger festzulegen, wo die Sonne zu bestimmten wichtigen Zeiten auf- oder unterging. Dadurch gewann man einen Anhalt für die Jahreseinteilung, die mit dem Beginn des Ackerbebauens auch zu einer der wichtigsten praktischen Lebensfragen geworden war. In den Küstenländern kam dazu das dringende Bedürfnis der Schiffahrt. Auch Viehzucht, Jagd, Fischerei bedurften der Beachtung des Kalenders.
Von vornherein aufs engste mit der Ortung verbunden, ja als Urgrund der ganzen Neigung anzusehen, war das Bedürfnis des religiösen Empfindens, sich nach der Richtung hinzuwenden, wo man die zu verehrende Gottheit sich vorstellte. Je mehr sich ein {206} Brauchtum ausbildete für Opfer und Gebet, für Gelübde, Eid und andere feierliche Handlungen, um so mehr mußte die Bedeutung der Himmelsrichtungen steigen. Und je gottesfürchtiger man war, um so genauer mußte es mit der Richtung genommen werden.
In dieser religiösen Sorgfalt, verbunden mit der Sorge für den Kalender, ist der Ursprung der „wissenschaftlichen“ Astronomie zu erblicken. Als wissenschaftlich muß sie deswegen bezeichnet werden, weil sie unter geringstem Wettbewerb des Empfindungsmäßigen und des Wunschmäßigen auf die Erfassung der wirklichen Verhältnisse der Himmelskörper ernstlich bedacht war und zur Erreichung des Ziels die geeigneten Wege sich erdenken mußte.
Das Ergebnis war denn auch ein durchaus anerkennenswertes. Die Pollinie ist mit einer Richtigkeit erkannt worden, die einen Unterschied von der Pollinie der neueren Astronomie nicht erkennen läßt. Nach astronomischem Urteil dürfte es einem Laien unserer Zeit trotz Ausrüstung mit Uhr und Kompaß schwer halten, die nicht leichte Aufgabe so richtig zu lösen, wie es die Alten zu unserer Bewunderung getan haben. Auch die Beobachtungsfehler, mit denen natürlich in allen praktischen Einzelfällen gerechnet werden muß, und um derentwillen nach sachverständiger Meinung eine Genauigkeitsgrenze von einem Grad oder mehr zuzulassen ist, sind, wie es scheint, bei den Alten sehr gering gewesen. Ein Spielraum von einem Grad soll daher nur in den seltensten Fällen, wenn andere Gründe mitsprechen, in Betracht gezogen werden — immer bei Zugrundelegung der jetzt geltenden Pollinie. Dabei bleibt natürlich die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit, daß die Alten sehr oft noch ungenauer gemessen haben. In der ältesten christlichen Zeit, als die germanische Astronomie unterdrückt und vergessen war, hat man sich bei der Ortung der Kirchen bis zu 14 Grad vermessen.
Zur Schwierigkeit der Bestimmung der Pollinie sei noch bemerkt, daß schon vor wenigen tausend Jahren der jetzige Polarstern weit abseits stand und ein anderer brauchbarer Polarstern nicht vorhanden war.
Der nächste einleuchtende, psychologisch unausbleibliche Schritt der Entwicklung war die Erhebung der in der Natur vermerkten Orientierungsstellen zu Heiligtümern, da sie ja doch von dem Geist der Gottheit umschwebt waren. Damit war dann ihre Ausstattung mit dem verbunden, was man gebrauchte, wenn man an den festlichen Tagen der betreffenden Gottheit an diesen geheiligten Stätten zusammenkam. Worin die Ausstattung bestand, können wir nur vermuten: vielleicht in einem Mal aus Holz oder Stein (Menhir), in einer erhöhten Unterlage, einem Steinhügel oder einem Turmsockel für den Brandstapel, damit das Feuer recht hoch emporlodere.
Ja, das Feuer, dieses eigentlich oberste, bevorzugte Mittel der Gottesverehrung! Es gab eine feierliche Weckung der Flamme aus Holzreibung, wofür von alters her der Name Notfeuer (Nodfyr) bekannt ist. Der Indikulus verbietet „illos sacrileges ignes quos niedfyr vocant“ — jene frevlerischen Feuer, die sie Niedfyr nennen. Reichliche Kenntnis haben wir über die Oster- und Johannisfeuer.
Daß es sich bei den Ortungspunkten in der Tat um die Plätze der Berg- und Waldheiligtümer handelt, von deren Dasein wir bereits wußten, deren Orte wir aber nicht kannten, um Plätze, an denen man zusammenkam, erhellt auch aus einer vielfach bis in unsere Zeit erhaltenen lebhaften Zuwegung; denn die Beschaffen-{207}heit und Benutzung der Stellen in der späteren Zeit läßt oft keinen zureichenden Grund für die gerade da entstandenen Wegespinnen erkennen.
Manchmal, und zwar in den Lagen, wo sich die Ortsbeschaffenheit zur Ackerbebauung und Ansiedlung eignete, sind diese eingehegten Heiligtümer und die Wohnstätten ihrer ersten Anwohner — Feuerwärter und von der Metallzeit an zugleich auch Schmiede — zu Verdichtungspunkten für spätere Ortschaften geworden. Da wurde dann das Ortungsheiligtum zum Dorfthingplatz. Je tiefer wir mit unserer Annahme des Aufkommens der Ortung in die ersten Besiedlungszeiten zurückgehen, um so erklärlicher wird die ganze Erscheinung.
Nicht wenige der so entstandenen Dörfer zeigen noch heutigen Tages — wie auch natürlich die übrigen Thingplatz-Kirchdörfer — durch die Straßenanlage, daß die zusammenlaufenden Wege an dieser Stelle ein Gehege zu umgehen hatten. Bei schnellem Durchfahren solcher Dörfer erscheinen die Kirchplätze dem Autofahrer unserer Zeit wie in den Weg gestellte Verkehrshindernisse.
Was diese ältesten Kirchdörfer anbelangt, so gehört es zu dem gesichertsten Wissen von unserer germanischen Vergangenheit, daß die Kirchen in der Bekehrungszeit gemäß Anordnung der sämtlichen damaligen Päpste, wo es anging, auf die Thingplätze gesetzt worden sind, „wo das Volk gewohnt sei, zusammenzukommen“. Das war eine ebenso grausame als wirksame Anordnung zur Beseitigung des alten Glaubens, zumal die Beschädigung der Kirchen unter Todesstrafe gestellt wurde.
Immerhin werden wir wegen ihrer Häufigkeit in kirchenreichen Gegenden die Kirchen nur dann zu den Beweisen mit heranziehen dürfen, wenn eine Linie bereits anderweitig als gesichert erscheint, oder wenn ihre Orientierung auf kurze Entfernung eine sehr eindrückliche ist.
Sobald die Ortungsstellen als festliche Versammlungsplätze benutzt wurden, lag für sie selbst wiederum das Bedürfnis einer Ortung vor, und zwar in der gleichen Richtung, in der sie selbst zur Ortung bestimmt waren. Auf diese einfache Weise erklärt sich die Entstehung der längeren, manchmal in erhebliche Entfernung über Berg und Tal gehenden Linien, auf denen — natürlich für uns nur lückenhaft — die Stationen wie Perlen an der Schnur erscheinen (s. Beispiel 31). Beachtenswert und erklärlich ist es, daß die Beobachtungsfehler von Meßstelle zu Meßstelle sich bei den meisten solcher längeren Linien nahezu ausgeglichen haben, so daß Anfangs- und Endpunkt in ihrer Entfernung vom astronomischen Breitengrad oder Längengrad meist nur einen geringen Unterschied zeigen. Denn die Fehler ereigneten sich ja nicht nach ein und derselben Seite.
Die weithin leuchtenden Feuer boten sich nun den Führern des Volkes von selbst an als Mittel zur Benachrichtigung der Fernwohnenden. Mit den fortschreitenden Bedürfnissen der Gemeinschaft wird sich ein Signalwesen für friedliche und kriegerische Zwecke herausgebildet haben, welches das auch bei den Wilden in Afrika zu findende Signalwesen in dem gleichen Maße an Durchbildung und kulturlicher Brauchbarkeit übertroffen haben dürfte, als die alten nordischen Völker an Geist und sonstiger Begabung über die farbigen Rassen unserer Zeit hinausragen.
Die Germanen wurden zur Römerzeit aus einem Leben aufgeschreckt, welches wohl {208} die zwischen den Großen mit ihren Gefolgschaften [208.1] zweikampfartig ausgefochtenen Streitigkeiten und auch blutige Stammeshändel, an den Grenzen auch die Abwehr andrängender fremder Völkerschaften mit Weib und Kind kannte. Aber man kannte keinen Kampf mit wohlgeschulter, fremder, feindlicher Heeresmacht. Als dieser nun um die Wende unserer Zeitrechnung notwendig wurde, da haben sich die Germanen mehrfach — im Jahre 15 und 16 n. Chr. Geburt noch mehr als im Jahre 9 — zu militärischen Taten aufgerafft von solchem Umfange und mit so geschickter Führung großer Massen, daß diese Taten vor einem militärisch sachverständigen Urteil unbedingt zugleich auch als Zeugnisse für ein hervorragend brauchbares Nachrichtenwesen erscheinen müssen. Ähnlich war es später in den 32jährigen Kämpfen des Sachsenbundes gegen Karl, der als fremder Eroberer und Bedrücker mit seinen wohlgeschulten, bereits völlig romanisierten Westfranken anrückte.
In solchen kriegerischen Leistungen liegt eine starke Begründung für die Annahme, daß die vorhandenen kultisch-kalendrischen Leuchtwarten auch für das öffentliche Nachrichtenwesen verwertet worden sind. Dabei ist der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, daß es inmitten eines Gewirrs von ungezählten, bei allen möglichen Gelegenheiten im Lande aufleuchtenden Feuern gerade die geraden astronomisch bestimmten Linien, wie sie durch die Ortung entstanden waren, gewesen sind, die die Möglichkeit einer sicheren Beförderung von Nachrichten bis an die Grenze des Landes geboten haben. Von der Richtigkeit dieses Gedankens kann man sich durch einen Rundblick auf die Osterfeuer, z. B. in der hiesigen Gegend vom Meinberger Aussichtsturm aus, überzeugen. Nur durch astronomisch bestimmte gerade Linien konnten Störungen und Mißverständnisse in der Nachrichtenübermittlung ausgeschlossen werden.
An den Stellen auf Bergeshöhe, wo die Feuer der Alten weithin leuchteten, finden wir jetzt in auffälliger Anzahl unsere Aussichtstürme, und zwar diejenigen, deren Plätze nicht erst zur Befriedigung des neuerlichen Bedürfnisses nach Naturfreude ausgesucht, gerodet und hergerichtet sind, sondern schon von alters her eine durch Menschenhand geschaffene, oder doch bewahrte Sonderstellung als weithin sichtbare freie Stellen gehabt haben. Die Plätze sind im Mittelalter dann oft für die Spähtürme benutzt, ehe sie neuerdings für die Aussichtstürme oder Tempelchen ausersehen wurden. Der Grund für diese uns jetzt so günstige Dauerhaftigkeit ihrer Sonderstellung in den Wäldern dürfte auch mit darin zu erblicken sein, daß die Bodenbeschaffenheit der durch Jahrtausende vom Waldwuchs freigehaltenen, an der Humusbildung behinderten Stellen sowohl dem freien Wachstum als auch der Aufforstung widerstrebt haben. Wenn sie zugleich ihre Zuwegung behalten hatten, boten sie somit alle Vorteile zur Errichtung der Aussichtstürme.
Aus ähnlichen Gründen wird auch manche mittelalterliche Warte im Lande und bei den Städten auf der gleichen Stelle erbaut sein, wo einst das germanische Heiligtum stand. Ehe man einen neuen Platz herrichtete oder gar aus dem Privatbesitz {209} heraus erwarb, nahm man natürlich einen bereits vorhandenen, der sich in öffentlichem Besitz befand und sich gut eignete.
Außer den erwähnten Thingplatzkirchen, die in vielen Fällen aus der großen Zahl der übrigen Kirchorte schon kartenmäßig herauserkannt werden können, sowie den Aussichtstürmen und Warten kommen für uns ferner als Anzeichen einstiger Orientierungspunkte die einsamen Waldkapellen, Klausen und kleinen Klöster in Betracht. Ihre Vorgänger dürfen wir nahezu ausnahmslos als schon in der Bekehrungszeit zur Sühne und Entgreuelung an den Orten des germanischen Kultus errichtet ansehen.
In evangelischen Gegenden und in solchen katholischen Gegenden, wo Bildstöcke und Kreuze seltener vorkommen, sind auch diese hierhin zu rechnen, besonders wenn sie sich an abgelegenen Stellen finden. Die ältesten Kalvarienberge erwecken den größten Verdacht, daß sie an den Stellen bedeutsamer germanischer Heiligtümer entstanden sind. Hierbei spielte derselbe Gesichtspunkt eine große Rolle, daß von solchen Stellen die bösen Geister der alten Götter vertrieben werden sollten, der Götter, die ja nach dem Glauben der ersten Christenheit lebten und an den gewohnten Stätten ihrer Verehrung weiter ihr Wesen trieben. Der zum Kalvarienberge nördlich Brakel führende Kreuzweg ist mit 130° auf den Sommersonnenort eingestellt.
Wenn die Stellen auf diese Weise nicht entsühnt werden konnten, so beschritt man den Weg der Satanisierung. Man bezeichnete sie als Teufels- und Hexenorte oder belegte sie mit verächtlichen Namen und brachte sie in einen Verruf, der vielfach bis zum heutigen Tage angehalten hat.
Weiter haben wir die meist hervorragend günstig gelegenen Plätze der als mittelalterlich angesehenen Burgruinen und Wohnburgen zu beachten. Es liegen starke Gründe vor, daß wir viele Burgen bis zu dem schwer erbringlichen Gegenbeweis als die Nachfolger und Nutznießer dessen ansehen dürfen, was bereits die Vorfahren in germanischer Zeit aus den Plätzen gemacht hatten. Ähnlich liegen auch unsere ältesten Bauernhöfe natürlich noch genau auf den Plätzen,wo die germanischen Vorfahren — zurück bis in die Urzeit der Ackerbebauung — im Schweiße ihres Angesichts den Wohnplatz und das Nutzland aus dem wüsten Eiszeitzustande herausgearbeitet und wo sie sich ihre Wohnungen breit und behäbig, entsprechend der fortschreitenden Kultur, errichtet hatten [209.1]. Die wenigen nicht in späterer Zeit überbauten Burgen und Ringwälle, die wir noch zur Untersuchung haben, geben uns immerhin ausreichende Lehren darüber, welche Plätze sich die Alten zu ihren Zwecken ausgesucht haben. Und unter diesen Zwecken standen die religiösen Heiligtümer in vorderster Reihe.
Schließlich müssen wir auch mit der gebotenen Vorsicht auf allerlei sonstige auf altöffentlichen Grund und Boden gesetzte, oft an Wegekreuzungen liegende Gebäude oder Einrichtungen, wie Schulen, Friedhöfe, selbst Abdeckereien, Mühlen u. a. m. achten, wenn sie sich an den Stellen zeigen, an denen wir aus anderen Gründen Orientierungsmale zu suchen veranlaßt sind.
Die Orientierungsbeispiele kann ich im gegenwärtigen Stande der Forschungen nur mit dem Vorbehalt der in vielen Punkten jedenfalls notwendig werdenden Verbesserung geben. Aber nachdem die Ortung in Germanien für mich und meine Mitarbeiter zu einer zweifellosen Tatsache geworden ist, die fort und fort ihre Bestäti-{210}gung findet und die sich bereits als heuristisches Prinzip (Mittel zur Auffindung) bewährt hat [210.1], war die Darlegung der Sache vor der Öffentlichkeit geboten, da nur dadurch eine weitere Klärung, eine Verwertung und ein Fortschritt möglich ist.
Mein Vorbehalt ist um der vorliegenden Schwierigkeiten willen nötig. Zu überwinden ist nicht nur die unserem subjektiven Urteil überlassene Einschätzung der Beobachtungsfehler der Alten in jedem Einzelfalle und die wenn auch noch so geringe Ungenauigkeit unserer Karten, die wegen der Kugelgestaltung der Erde unvermeidlich ist, sondern auch der ganz allgemein geltende Umstand, daß wir den genauen Meßstandpunkt der Alten an einem Platze ja nicht kennen. Dadurch können z. B. schon bei Burgen Unterschiede entstehen, die bei Messungen auf nahe Entfernung etwas ausmachen. Noch mehr ist dies bei geräumigen Lagern der Fall. Auch die Thingplätze, auf denen jetzt die Kirchturmspitzen den Geometern wundervolle Richtpunkte darbieten, waren immerhin größer, als es für unsere Messungen erwünscht ist. Am sichersten sind wir noch bei Aussichtstürmen, Warten, einsamen Waldkapellen usw., daß wir die rechte Stelle vor uns haben. Nur kostspielige Ausgrabungsarbeiten, wenn sie von Glück begleitet sind, würden uns zur größten Gewißheit verhelfen können. Jedenfalls sind wir innerhalb kleiner Grenzen darauf angewiesen, von uns aus nach bestem Wissen Voraussetzungen zu machen und von einer Annahme auszugehen.
Dazu kommt noch eins. Wenn bei der Eigenart der vorliegenden Untersuchungen ein Vorwärtskommen möglich werden sollte, dann erschien es ausgeschlossen, den Charakter jedes einzelnen der vielen vorkommenden Punkte vor seiner Beachtung zu erkunden, oder auch — sofern dies doch geschehen konnte — sich dem bisherigen Urteil einfach zu unterwerfen. Ein Landwirt, den ich befragte, ob sich vielleicht an einen von mir besichtigten noch 10 (!) m hohen künstlich aufgeschütteten Hügel auf seiner Feldgrenze eine Spukgeschichte oder sonst eine Überlieferung knüpfe, war offenbar über die seinem Hof drohende Schmach unangenehm berührt und behauptete, daß sein Großvater den Hügel zur Beschäftigung Arbeitsloser habe aufhäufen lassen. Man muß einen westfälischen Landwirt kennen, um eine solche Antwort zu würdigen, wenn auch etwas Wahres daran sein mag.
Es ist eine bekannte Sache, daß außer den Hünengräbern die sich in unserm Lande noch findenden Reste menschlicher Bemühungen aus alter, nicht mehr überblickbarer Zeit, darunter auch Straßen, mit Vorliebe den Franzosen, Schweden, Hussiten, Franken und Römern oder gar den Polacken zugeschoben werden, beileibe aber nicht den Bewohnern, die in diesem Lande Tausende von Jahren gesessen haben und in demselben nicht nur gestorben sind, sondern auch gelebt, gedacht, geschafft haben. Und zwar geschieht dies nicht nur wie selbstverständilich vom Volk, sondern auch von einer großen Zahl der Gelehrten, die sich erst durch handfeste Gegenbeweise und dann noch mit saurer Miene zu einer ändern Auffassung bequemen. Es wäre sachlicher und vernünftiger, wenn’s umgekehrt wäre, wenn man also bei allem, was sich an Resten und Spuren alter Menschenwerke in unsern Landen findet, zunächst und bis zum wirklichen Gegenbeweise an das Tun derer dächte, die hier gelebt und geschafft haben und deren fleißiger Arbeit wir es in erster Linie verdanken, daß uns aus dem unwirtlichen Lande, wie es ursprünglich gewesen sein muß, allmählich das wohnliche Land geworden ist, wie es das Mittelalter übernahm. Denn dieses Mittel-{211}alter mit seinen unaufhörlichen Kämpfen, mit seinen fast immer schrecklichen, unsicheren und führerlosen politischen Zuständen, mit seinem Faustrecht, mit seinem weltabgewandten Geiste und seinem im wesentlichen nur auf das Wohl der Herren und der Kirche bedachten Tun — Ausnahmeerscheinungen, besonders im Städteleben, immer zugegeben — hat zu der eigentlichen Landeskultur nur ein Geringes beitragen können. Für eine Anerkennung und Würdigung der Kultur der Alten, wie sie für uns jetzt in Rede steht, und für eine Wiederherausholung derselben aus dem Dunkel der Vergessenheit ist es eine unbedingte Voraussetzung, daß wir diesen und ähnlichen Gedankengängen Raum in vorderster Linie geben. Andernfalls werden wir in den tiefen Irrtümern stecken bleiben, die man seit 1150 Jahren unserm Volke mit größtem Erfolge eingeimpft hat.
Nach Lage der Dinge sind Irrtümer über den Ursprung, die Bestimmung und das Alter einzelner zunächst in Betracht gezogener Ortungspunkte fast unvermeidbar. Davon jedoch, daß durch diese sämtlichen Einschränkungen und Vorbehalte das Ganze der hier in Beweis gestellten Ortung kaum berührt wird, daß dieselbe vielmehr mit starker Beweiskraft wohl begründet vor unseren Augen steht, davon dürfte sich jeder überzeugen, der die gebotenen Beispiele mit Ernst und Ruhe prüft, womöglich selbst Kartenmaterial, Zirkel, Lineal und Transporteur zur Hand nimmt und — unter Anwendung aller Vorsicht — neue findet. Vorsicht, sehr große Vorsicht ist freilich nötig: denn es unterliegt keiner Frage, daß hier ein Feld ist für üppig wuchernde Selbsttäuschungen. Zu einer wissenschaftlich sorgfältigen, und darum von mir aufs wärmste empfohlenen Arbeit über die Ortungserscheinungen in Ostfriesland ist Dr. H. Röhrig durch unseren Ortungssatz angeregt worden [211.1]. Besonders lehrreich ist die Arbeit um deswillen, weil es in Ostfriesland keine Berge gibt. Auch von Herrn Fritz Fricke [211.2] liegt eine Untersuchung mehrerer Ortungserscheinungen zwischen Thüringer Wald und Harzer Land vor, während eine große Zahl brieflich mitgeteilter Ortungserscheinungen aus fast allen Gegenden des deutschen Vaterlandes zunächst in dem bereits stark angeschwollenen Archiv der „Freunde germanischer Vorgeschichte“ in Detmold ruht und der Zeit ihrer Prüfung und Verwertung harrt.
Zu bewundern ist die Geschicklichkeit, mit der die Alten bei der Auswahl der Orte gleichzeitig ihren idealen Zwecken — Kultus, kultischen Orientierungen, ästhetischem Naturempfinden — und zugleich den praktischen Bedürfnissen hinsichtlich der Wasser- und Bodenverhältnisse und der militärischen Gesichtspunkte Rechnung zu tragen verstanden.
Um der Orientierung zu genügen, konnten sie keine Berge versetzen; aber sie konnten aus den sich ihnen darbietenden Möglichkeiten die günstigste Auswahl treffen. Sie legten ihre Lager den kriegerischen Erfordernissen entsprechend an, aber innerhalb des ihnen gelassenen Spielraums haben sie auf die von dem kundigen Goden gegebene Anweisung gehört, wo der Platz für Luginsland und Leuchtstelle zu roden sei. Altschieder hätte seinen militärischen Zweck auch an verschiedenen anderen Stellen des sich verengernden Emmertales erfüllen können, aber man hat die Absicht, der Ostergott-{212}heit auf der heiligen Teutoburglinie zu dienen, mitreden lassen und den Platz unter dem Kalenberge gewählt. Wer ausgerüstet mit einem gewissen Maß religiöser Veranlagung sich mit dem Studium der religiösen Empfindungswelt der alten Völker eingehender befaßt hat, der wird es verlernt haben, solche Einflüsse der Religion auf das praktische Tun und Lassen der Menschen im Altertum zu bezweifeln oder zu belächeln. Was von Altschieder gesagt ist, gilt auch von den anderen Orientierungen von Lagerburg zu Lagerburg. Und doch liegt es in der Natur der Sache, daß ihre Zahl nur gering sein kann. Im allgemeinen ist es so, daß die Errichtung eines Orientierungsmals für eine Lagerburg ihrer Anlage nachgefolgt sein dürfte.
Zu den selteneren Fällen gehört z. B. auch die Linie 3 Hünenburg, westlich Bielefeld, — Sparenburg in Bielefeld. Sparrenburg Bei der Hünenburg handelt es sich um ein widerspruchslos als vorgeschichtlich gewertetes Lager, bei der Sparenburg lag bisher kein Anlaß für die Annahme eines hohen Alters vor. Da nun der Bergrücken, auf dem die Hünenburg liegt, ihren Erbauern eine Auswahl des Platzes und ein Hereinrücken in eine Ortungslinie gestattete, während der Kegel der Sparenburg den Platz fest vorschrieb, so muß sich die Orientierung der Hünenburg nach der Sparenburg gerichtet haben, und damit wäre der vorgeschichtlichen Ausnutzung des Sparenberges das höhere Alter zuzuerkennen. Die Abhängigkeit der Lage dieser beiden Burgen voneinander ist durch die Genauigkeit ihrer Ortung auf der Ostlinie überaus auffällig. Man muß schon eine willkürliche Auswahl aus den Ecken des jetzigen Sparenburggebäudes treffen, wenn man eine erkennbare Abweichung von der astronomischen Linie haben will. Die Entfernung ist kurz — nur 4 km über ein Tal und einen Rücken hinweg — und ihre Beurteilung wird durch keinerlei Konkurrenzpunkte beirrt. Ich rechne sie (bis Brake) zu denen, mit welchen man sich zunächst einmal abfinden sollte, wenn man einen Standpunkt zur Sache gewinnen will. Zu gleichem Zwecke empfehle ich noch die Beispiele Nr. 4. 5. 11. 29. 41. 42. 47.